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Jäger

Jäger

Titel: Jäger
Autoren: Greg Bear
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sogar
König Midas vor Neid erblasst wäre.
    Dreißig Minuten nach dem Start in Seattle ließ sich
der Hubschrauber im Sinkflug ein paar hundert Fuß hinab, um
eine mittelgroße Insel zu umkreisen, die hier und da mit
großen, alten Holzhäusern besiedelt war. Nachdem wir eine
spärlich bewaldete Landspitze umrundet hatten, schwebten wir
über eine weite, tiefe Bucht. Ich kniff die Augen zusammen, um
das Geheimnis eines quadratischen, flachen, schwimmenden Objekts zu
ergründen, das in kurzer Entfernung vor dem Kies- und Sandstrand
ankerte. Es war kein Hausboot…
    Der goldene Widerschein, den die weiße Oberfläche
reflektierte, verblasste, als wir im Halbkreis näher schwebten,
und ich konnte einen Landekreis ausmachen. Es war ein auf riesigen
Pontons hoch über dem Wasser errichteter Landeplatz für
Hubschrauber.
    »Die Plattform hat dreißig Meter
Seitenlänge«, erklärte der Pilot mit stolzem
Lächeln, obgleich nichts von alledem sein persönliches
Verdienst war. »Sie ist ausgerüstet mit Tanks für
Treibstoff, vollautomatisierter Wetterstation und einer
Reparaturwerkstatt. Beeindruckend, nicht wahr? Die
Bürgerversammlung der Insel hat Owen die Genehmigung für
den Bau einer Landebahn auf seinem Grundstück verweigert.«
Er schüttelte den Kopf angesichts einer derart
fortschrittsfeindlichen Einstellung. »Stattdessen hat Owen einen
schwimmenden Landeplatz bauen lassen.«
    Ich ballte meine Hände zu Fäusten, aber der Pilot
landete die kleine Libelle gekonnt und fast ohne Erschütterung
genau im Zentrum des Kreises. Gleich darauf winkte er einem
Mechaniker zu und schaltete den Motor aus. Während die Rotoren
ihre Drehungen mit einem enttäuschten Winseln nach und nach
einstellten, befestigten zwei Männer in grauen Overalls die
Kufen mit schweren Metallklammern am Landedeck.
    Der Pilot entriegelte die Tür an der Passagierseite und
deutete zum Rand der Plattform. »Der Aufzug und die Treppe sind
dort drüben. Ich warte auf Sie«, sagte er mit einem
Lächeln, als sei ich der wichtigste Mann der Welt. Gleich nach
seinem Boss, natürlich.
    Als ich auf die Treppe zuging, sorgte eine kühle Brise
dafür, dass sich die Haare an meinen Unterarmen trotz der
schützenden Kleidung aufstellten. Über die Schulter hinweg
sah ich, wie die Crew des Landeplatzes den Hubschrauber in eine Plane
hüllte, um ihn vor der Salzgischt zu schützen.
    Während ich über die schwimmende Brücke zum Strand
hinüberging, nahm ich zum ersten Mal bewusst das Haus wahr,
obwohl Montoyas Villa mit ihrer zehn Meter hohen Fensterfront
oberhalb der Bucht eigentlich nicht zu übersehen war. Sechs
Kronleuchter von Dale Chihuly hingen, gleichmäßig
über das Foyer verteilt, hinter dem getönten Glas. Sie
wirkten wie erstarrte rot-blaue Muster eines Feuerwerks.
    Beim Anflug des Helikopters hatte ich das Haus nicht bemerkt,
jetzt erkannte ich den Grund: Das Dach war mit niedrig wachsenden
Bäumen und Gebüsch bepflanzt und vom Rest der
windgepeitschten Insel kaum zu unterscheiden.
    Als ich das Ende der Brücke erreichte, kam mir Betty Shun,
Montoyas persönliche Assistentin, über den Strand entgegen.
Sie war etwa in meinem Alter, plus oder minus zwei Jahre, und knappe
eins siebzig groß. Ein dichter schwarzer Pagenkopf umrahmte ihr
kesses, sinnliches, aber nicht sonderlich hübsches Gesicht. Ihr
Körper war ihr wichtigster Aktivposten und das war ihr auch
bewusst. Ein eng anliegendes schwarzes Kleid enthüllte
zahlreiche attraktive Zonen – offensichtlich das Ergebnis
ausdauernder Gymnastik und einer strengen Diät, wie ich aus den
Fettpolstern ihres rundlichen Gesichtes schloss. Ich vermutete bei
ihr eine gewisse geistige Verwandtschaft: die Bereitschaft, ins volle
Leben zu greifen, es durcheinander zu wirbeln und ihm ein paar harte
Fragen zu stellen.
    »Dr. Henry Cousins, nehme ich an?«, fragte Shun in einem
singenden Tonfall, der ganz reizend klang.
    »Hal«, berichtigte ich.
    »Hal. Willkommen auf Anson Island.«
    •
    Die Glaswand und die Villa, die dahinter verborgen lag, zeugten
von einer ausgeprägten Eleganz, die wenig Wert auf den
äußeren Schein legte. Montoya war kein Donald Trump oder
irgendein Großkotz aus Vegas. Nur von der Bucht aus konnte man
erkennen, welch reicher und mächtiger Mann hier lebte.
    »Vergangene Woche hatte Owen Gus Beck zu Gast«,
erzählte mir Shun, als wir über den Strand spazierten.
»Und in der Woche davor Philip Castler. Was sie zu erzählen
hatten, gefiel ihm ganz und gar nicht.«
    »Tatsächlich? Da
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