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Jäger

Jäger

Titel: Jäger
Autoren: Greg Bear
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gekämpft, seit wir drei waren. Unserer Meinung nach
hatte uns nur der Zufall zu Zwillingen gemacht, folglich würde
jeder von uns den Langstreckenlauf allein durchziehen müssen.
Klar, ein fairer Wettkampf bis zur Ziellinie, aber keine große
Verbrüderung auf dem Weg dorthin.
    Und dennoch hatten wir unabhängig voneinander denselben Beruf
gewählt, uns für dieselben Gebiete der Medizin und Biologe
entschieden und beide sehr gut aussehende Frauen geheiratet, ohne
dass wir sie halten konnten. Kann sein, dass ich meinen
Zwillingsbruder nicht sonderlich mochte. Aber daran, dass ich ihn
liebte, war nicht zu rütteln.
    Irgendetwas war hier faul. Warum also verschob ich meinen Flug
nicht? Warum unternahm ich keinen Versuch, ihn zu finden, um ihm
meine Hilfe anzubieten? Ich fand Ausflüchte. Offenbar hatte Rob
nur versucht, mich psychisch unter Druck zu setzen. Prinz Hal, also
wirklich!
    Ich nahm den Flug nach Seattle.

 
Kapitel 2
     
18. Juni – Juan de Fuca-Graben
     
    Eingeschlossen in einen winzigen Hohlraum, so glänzend und
schwarz wie eine Blase in Obsidian-Gestein, sanken wir in einer
weiten, langsamen Spirale durch achttausend Fuß ewig
währender Nacht. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken.
    Ich sah nach rechts über meine Schulter und fixierte meinen
Blick auf den nach vorn gebeugten Kopf des Piloten, den ein einzelner
Punktstrahler in Licht tauchte. Dave Press rieb sich die Nase und zog
sich in den Schatten zurück. Diese Expedition war bereits meine
dritte Tauchfahrt, aber die erste, auf der Dave als Pilot dabei war.
Wir tauchten alleine, nur wir beide, ohne Beobachter oder Copilot.
Unser Tiefseetauchboot, die Mary’s Triumph, sank mit
einer Geschwindigkeit von vierundvierzig Fuß pro Minute,
zweitausendsiebenhundert Fuß pro Stunde.
    Dave beugte sich erneut vor und stieß einen fast lautlosen
Pfiff aus.
    Während ich mein Blickfeld zu Ausschnitten verengte, stellte
ich mir vor, Daves Kopf sei alles, was existierte. Nur dieser Kopf,
meine Augen, tausend Fuß Ozean darüber und mehr als eine
Meile Ozean darunter. Ein paar Sekunden lang fühlte ich mich wie
der kleine, schwarze Pip, der auf einem von Ahabs Walfangbooten
über Bord gespült wird und stundenlang wie ein Hund durch
die Sturzwellen der schweren See paddelt. Pip macht dabei eine
Wandlung durch: Aus einem lebhaften, quirligen Schiffsjungen wird ein
ernster, von düsteren Ahnungen heimgesuchter Bursche, der kaum
noch von dieser Welt ist. All das deswegen, weil er so lange ganz
allein, nur umgeben von Seemöwen und der Sonne, im Meer
getrieben ist. Aber was war das schon, verglichen mit unserer Situation: Umhüllt von einer Plastikblase sanken wir ins
größte Tintenfass der Welt hinab. So betrachtet, hatte Pip
eine fröhliche, unbeschwerte Vergnügungsreise genossen.
    Einhundertachtzig Minuten, um in den Graben hinabzutauchen,
zweihundert, um zur Oberfläche zurückzukehren, dazu
dreihundert bis vierhundert Minuten, um den Meeresgrund zu
untersuchen – wenn alles gut ging. Eine zwölfstündige
Fahrt zur Hölle und zurück – oder zum Garten Eden, je
nach Blickwinkel.
    Ich hoffte auf den Garten Eden. Prinz Hal Cousins,
Wissenschaftler, hochgradiger Egoist, erfüllt vom
bedingungslosen Glauben an die materielle Welt, ein Mann, der im
Dunkeln Angst und mit Gott nicht viel im Sinn hat, war drauf und
dran, den primitivsten Lebensformen auf unserem Planeten in ihrer
ökologischen Nische einen Besuch abzustatten, um dort nach dem
Quell ewiger Jugend zu suchen. Ich befand mich auf einer Pilgerfahrt
zurück zu dem Ort, an dem die Frucht vom Baum der Erkenntnis uns
nicht nur die Unterscheidung von Gut und Böse, sondern auch das
Sterben gelehrt hat. Ich hatte vor, diese Frucht zu bergen, um sie
einigen Tests zu unterziehen.
    Dieses gotteslästerliche Unterfangen betrachtete ich als
angemessene Rache für das Schicksal unzähliger
Generationen, die sich von sinnlichen, wissbegierigen Menschen mit
wachem Blick unweigerlich in Alte, Runzlige und Kranke verwandelt
hatten, um schließlich hässlich und hirnlos
dahinzuvegetieren. Bis sie zum Dünger auf dem Gottesacker
wurden.
    Anderthalb Meilen unter dem Meeresspiegel des Pazifiks sind
Menschen nichts anderes als unerwartete Besucher in einem dunklen
uralten Traum. Hier unten, eingebettet in die Risse der irdischen
Haut, ragen Inseln der Hitze und des giftigen Gestanks aus
schimmernden Abgründen hervor. Wollig-weiße Teppiche von
Bakterien sind hier in Scharen zu finden.
    Wer auf Erden nach dem Garten Eden
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