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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen
Autoren: Jane Feather
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Melancholie neigten, nicht davon ausgehen, daß sie in Feindesland die notwenigen Vorsichtsmaßnahmen trafen. Das machte sie zu unbeliebten Offizieren, es sei denn, sie hatten einen Sergeant wie Abdul Ali, der ihre Gedankenlosigkeit überlistete.
    Kit warf ihm einen scharfen Blick zu, und dann, zum Erstaunen des Havildar, glitt der Anflug eines Grinsens über sein Gesicht, das dem zuvor so schlaffen Mund einen neuen Schwung gab und den etwas schiefen Humor in seinen schwerlidrigen grauen Augen aufblitzen ließ. Er nahm den Tschako mit dem Federbusch vom Kopf und fuhr mit den Händen durch sein dickes, leicht gelocktes, blondes Haar. »Das haben sie auch beinahe, Havildar. Aber nicht so, wie du es dir vorstellst … Ist das Tee, was die Männer zusammenbrauen?«
    »Ja, Sir. Wird Ihnen guttun, ganz bestimmt.« Der Sergeant rief einem der Sepoys auf Hindi etwas zu, der eine Blechtasse mit der dampfenden Flüssigkeit, deren rotbraune Färbung ihre Stärke anzeigte, herübertrug.
    Kit nahm einen Schluck, schauderte, einen weiteren Schluck und begann, sich wieder als Mensch zu fühlen. »Wir sind etwa vier Stunden von Kabul entfernt«, sagte er und griff nach der Karte in der Satteltasche. »Im Herzen des Ghilzai-Territoriums.« Er schüttelte die Karte mit einer Hand heraus und führte mit der anderen die Tasse an die Lippen. »Unser Auftrag lautet, Uktar Khan und seine Bergbewohner aufzuspüren.«
    »Oder Akbar Khan«, fügte Abdul hinzu und verzog dabei den Mund. »Mir scheint eher, Sir, daß Akbar die eigentliche Bedrohung ist.«
    »Ich bin sicher, du hast recht. Aber sieben Männer werden in diesen Bergen den Anführer nicht finden, es sei denn, er will gefunden werden. Er lebt wie ein Nomade und hat sich seit Monaten nicht gezeigt.«
    »Ja, nur durch seinen Einfluß«, stimmte Abdul zu. »Er steckt hinter jedem Überfall, jedem Komplott, jedem Scharmützel, jedem Mord.«
    »Daran habe ich keinen Zweifel.« Ralston blickte in seine leere Tasse und fragte sich, ob eine zweite Füllung mit diesem belebenden Gebräu wohl die Wirkung der ersten aufheben oder einfach den Nutzen verdoppeln würde. Es fiel ihm ein, daß etwas zu essen keine schlechte Idee wäre. »Was gab es zum Mittagessen, Havildar?«
    »Nur Brot und Käse, Sir. Wir reisen mit leichtem Gepäck.«
    »Natürlich.« Er hätte es wissen müssen. Es lag in seinem Verantwortungsbereich, die entsprechenden Befehle für die Versorgung einer Patrouille mit Lebensmitteln zu geben – eiserne Rationen in Übereinstimmung mit ihrer vermutlich geheimen Mission. Wenn es ihm gelungen war, die entsprechenden Befehle im schmerzenden Nebel seines nächtlichen Exzesses zu geben, dann konnte er sich daran zumindest nicht mehr erinnern. Aber Abdul Ali würde sich sowieso darum gekümmert haben. Er wäre ein viel besserer Anführer dieser kleinen Sepoy-Patrouille als Leutnant Christopher Ralston, der nie mehr als einen Hyde-Park-Soldaten dargestellt hatte, schmuck in seiner Uniform, beliebt in der Offiziersmesse und ein Teufelskerl bei den Frauen, die alle in Uniformen verliebt waren. Sauer stieß ihm eine Welle des Abscheus vor sich selbst auf und bedrohte seine neugefundene Berufung.
    »Bitte, Sir.« Der Havildar streckte ihm ein Stück Ziegenkäse und einen Kanten Brot entgegen.
    Kit nahm es, grunzte ein Dankeschön und wandte sich wieder der Karte zu. Die Frauen mußten aus irgendeinem Dorf in der Nähe stammen. Aber es konnte sich nicht um ein normales Bauerndorf handeln. Die Kleidung des englischen Mädchens war zu reich für eine normale Dorfbewohnerin, und auch die Aufmerksamkeit, die ihr von einer so großen Frauengruppe zuteil geworden war, wies auf einen bedeutenderen Haushalt hin – auf den Haushalt eines Khans.
    Er kaute auf dem trockenen Brot herum und trank noch etwas Tee; sein Kopf arbeitete jetzt freier, sein Verstand war nicht mehr verwirrt und träge. Es stand bestimmt in Einklang mit seinem momentanen Auftrag, das Khanat zu identifizieren. Was sollte dagegen sprechen, daß die Frauen womöglich aus der Festung von Uktar Khan stammten? Auf jeden Fall wäre es Pflichtvergessenheit, wenn er diese Möglichkeit nicht überprüfte, nun, da sie ihm eingefallen war.
    Die Frauen waren von der gegenüberliegenden Seite auf den See zugekommen. Er und seine Patrouille würden dort ihren Ausgang nehmen. Er faltete die Karte wieder zusammen und hörte erfreut das Rascheln des Papiers, das ihm so vorkam, als stimme es mit seiner eigenen Entscheidungsbereitschaft überein.
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