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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric
Autoren: Die Brücke über die Drina
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wußte,
daß er, Alihodscha, immer und in allem recht behalten hatte. – »Oh«, stöhnte
noch einmal der Hodscha, und zwar schmerzlich, denn die gleiche Gewalt, die
ihn hochgerissen hatte, warf ihn grob und wütend wieder zurück, aber nicht auf
die gleiche Stelle, sondern auf den Fußboden, zwischen der Holzwand und der
umgestürzten Holzbank. Er spürte einen dumpfen Schlag auf den Kopf und einen
Schmerz unter den Knien und auf dem Rücken. Er konnte noch mit dem Gehör als
getrenntes Geräusch im allgemeinen Donnern unterscheiden, wie etwas schwer auf
das Ladendach schlug und dort hinter der Trennwand ein Klirren und Krachen von
metallenen und hölzernen Gegenständen einsetzte, als seien alle Dinge im Laden
lebendig geworden, aufgeflogen und im Flug zusammengestoßen. Diesem Schlag
folgte ein Regen kleiner Steinsplitter auf Dach und Pflaster. Er aber hatte
schon das Bewußtsein verloren und lag reglos in seinem Tabut.
    Draußen war es völlig Tag geworden.
    Er hätte auch nicht annähernd sagen
können, wie lange er so gelegen. Ein Lichtschein und zugleich einige Stimmen
rissen ihn aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit. Nur schwer kam er zu sich. Er
wußte genau, daß er dort in völliger Dunkelheit gesessen hatte, jetzt aber
drang durch den engen Durchlaß ein Lichtschein aus dem Laden. Er erinnerte
sich, daß die Welt von einem Geräusch und Getöse erfüllt gewesen, vor dem das
Gehör versagte und das die Eingeweide im Menschen vergehen ließ. Auch jetzt
herrschte Stille, aber sie glich nicht jener Stille, deren er sich ge freut
hatte, ehe das Getöse einsetzte, das ihn hier niedergeworfen, sondern sie war
wie deren böse Schwester. Wie tief diese Stille war, das empfand er am besten
an einer leisen Stimme, die, wie aus weiter Ferne, etwas wie seinen Namen rief.
    Nachdem ihm klargeworden, daß er
noch am Leben und in seinem Tabut sei, arbeitete sich der Hodscha aus den
Dingen heraus, die ihm aus den Regalen auf den Kopf gefallen waren, und erhob
sich stöhnend und sein schmerzliches »Oh!« wiederholend. – Jetzt hörte er
deutlich Stimmen und Zurufe von der Straße. Er bückte sich und zwängte sich
durch die niedrige Öffnung, die in den Laden führte. Dort war alles versperrt
von heruntergefallenen und zerschlagenen Gegenständen, und alles lag im hellen
Tageslicht. Das Geschäft stand weit offen, denn der Laden, den er nur angelehnt
hatte, war von der Erschütterung abgefallen.
    In diesem wüsten Durcheinander von
verstreuten Waren und herumgeworfenen Gegenständen lag mitten im Laden ein
schwerer Stein in Kopfesgröße. Der Hodscha hob den Blick. Auch von oben schien
das Licht hinein. Offenbar hatte der Stein das schwache Dach und die hölzerne
Decke von oben durchschlagen. Dann betrachtete er wieder den Stein, er war
weiß, porös, auf zwei Seiten glatt und behauen, auf der anderen scharf und grob
abgeschlagen. Die Brücke! blitzte in ihm der Gedanke auf, aber jene Stimme von
der Straße rief ihn immer schärfer und lauter und ließ ihn nicht weiter denken.
    Völlig zerschlagen und noch nicht
ganz zu sich gekommen, fand sich der Hodscha vor einer Gruppe von fünf, sechs
jungen, unrasierten und verstaubten Menschen, die fahlgraue Uniformen,
Serbenmützen und Opanken trugen. Alle waren bewaffnet und trugen gekreuzte
Patronengürtel, die voll kleiner, glänzender Geschosse steckten. Mit ihnen
ging auch Wlado Maritsch, der Schlosser, aber ohne seine »Schlosserschirmmütze«,
er trug eine Pelzkappe und über der Brust gekreuzte Patronengürtel. Einer
dieser Leute, offenbar der Vorgesetzte, ein junger Mensch mit einem dünnen,
schwarzen Schnurrbart, geradem Gesicht, scharfen Zügen und entzündeten Augen,
wandte sich sofort an den Hodscha. Das Gewehr trug er nach Jägerart umgehängt,
und in der rechten Hand hatte er eine dünne Haselgerte. Der Mann fluchte wütend
und hob sofort die Stimme.
    »He, du? Sag mal, läßt man seinen
Laden etwa so offen stehen? Und wenn nachher etwas fehlt, dann behauptest du,
meine Leute hätten deinen Laden geplündert. Soll ich vielleicht auf deine Ware
aufpassen?«
    Das Gesicht dieses Mannes war ruhig,
fast unbeweglich, seine Stimme aber scharf, und der Stock in seiner Hand erhob
sich drohend. Da trat Wlado Maritsch heran, und leise sagte er etwas.
    »Schön, schön, mag er gut und
anständig sein, wenn ich seinen Laden aber noch einmal so ohne Aufsicht finde,
dann kommt er nicht so leicht davon.«
    Und die bewaffneten Männer gingen
weiter.
    »Das sind also die anderen«,
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