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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric
Autoren: Die Brücke über die Drina
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enden würde. Auch hier war es heiß, aber man
spürte die Schwüle nicht. Im Hause hallten die Schritte. Es kamen auch andere
Einwohner aus der Stadt. Vereinzelte Soldaten oder Offiziere fanden sich dazu.
Essen und Obst gab es im Überfluß. Milan röstete unaufhörlich Kaffee. Alles
hätte wie ein längerer Feiertagsaufenthalt auf dem Dorfe aussehen können, hätte
man nicht von Zeit zu Zeit Lottikas verzweifeltes Wehklagen gehört und wäre es
nicht das dumpfe Grollen der Kanonen gewesen, das in diese Schlucht wie ein
wütendes Knurren drang und verriet, daß etwas in der Welt nicht in Ordnung und
das allgemeine und alle angehende Unglück viel näher und viel größer war, als
es nach der weiten und harmlosen Heiterkeit dieses Tages erscheinen mochte.
    Das hatte der Krieg aus Lottikas
Hotel und seinen Einwohnern gemacht.
    Auch Kaufmann Pawle Rankowitschs
Laden war geschlossen. Am zweiten Tag des Krieges hatte man Kaufmann Pawle mit
noch einigen angesehenen Serben als Geiseln festgenommen. Die einen von ihnen
waren auf dem Bahnhof, wo sie mit ihrem Leben für Ordnung, Ruhe und
regelmäßigen Verkehr hafteten, die anderen saßen unweit der Brücke, am unteren
Ende des Marktes, in einer kleinen Holzbaracke, in der an Markttagen die
Stadtwaage stand und die Eichgebühr bezahlt wurde. Hier hafteten auch sie mit
ihrem Leben, daß niemand die Brücke zerstöre oder beschädige.
    Hier saß Kaufmann Pawle auf einem
Kaffeehausstuhl. Die Hände auf den Knien und mit gesenktem Kopf, glich er einem
Menschen, der sich, völlig erschöpft, nach einer großen Anstrengung hier
niedergesetzt hatte, um sich ein wenig auszuruhen. Aber schon seit Stunden saß
er so unbeweglich in der gleichen Haltung. An der Tür hockten auf einem Haufen
leerer Säcke zwei Soldaten, Reservisten. Die Tür war geschlossen, und in der
Baracke herrschten Halbdunkel und schwerer Dunst. Wenn vom Panos oder aus
Golesch die Granaten heranheulten, dann verschluckte Kaufmann Pawle seinen
Speichel und lauschte, wo sie einschlugen. Er wußte, daß die Brücke schon seit
langem miniert war, und ständig grübelte er und fragte sich, ob wohl eine solche
Granate den Sprengstoff entzünden könne, wenn sie bis zu ihm durchschlüge. Und
bei jeder Ablösung hörte er, wie der Unteroffizier den Soldaten, die Posten
standen, seine Anweisungen gab. Jedes Mal endete diese Anweisung mit den
Worten: »Bei dem geringsten Versuch, die Brücke zu beschädigen, oder bei dem
geringsten verdächtigen Anzeichen, daß irgend so etwas vorbereitet wird, ist
dieser Mann sofort zu erschießen.« Kaufmann Pawle hatte sich schon daran
gewöhnt, diese Worte ruhig anzuhören, als bezögen sie sich nicht auf ihn. Mehr
beunruhigten ihn die Granaten und Schrapnelle, die manchmal so nahe bei der
Baracke explodierten, daß der aufspritzende Kies und Stahlsplitter an die
Bretter schlugen. Am meisten aber quälten ihn die lange, endlose Zeit und
seine eigenen unerträglichen Gedanken.
    Kaufmann Pawle grübelte, was aus
ihm, aus seinem Haus und seinem vielen Besitz werden sollte. Und je mehr er
nachdachte, desto mehr schien ihm alles wie ein böser Traum. Denn wie sollte
er sich erklären, was in diesen wenigen letzten Tagen auf ihn und die Seinen
herabgestürzt war. Zwei Söhne, Studenten, hatten die Gendarmen schon am ersten
Tage geholt. Zu Hause war nur die Frau mit den Töchtern. Die große Schnapsbrennerei
mit den Fässerschuppen in Osojnitza war vor seinen Augen niedergebrannt. Die
Häuser seiner Hintersassen in den umliegenden Dörfern waren wahrscheinlich
abgebrannt; soviel ausgeliehenes Geld und Forderungen im ganzen Landkreis
verloren. Sein Laden, der schönste in der Stadt, nur einige Schritte von ihm
entfernt, war geschlossen und würde wahrscheinlich geplündert werden oder
durch einen Granattreffer ausbrennen. Und er selbst saß in dieser halbdunklen
Baracke als Geisel, mit seinem Kopfe für etwas haftend, was ganz und gar nicht
von ihm abhing: für das Schicksal der Brücke.
    Ungestüm und ungeordnet, wie nie
zuvor, drängten sich die Gedanken in seinem Kopfe, überkreuzten sich und
erloschen. Was hatte gerade er mit der Brücke zu tun, der sich sein ganzes
Leben nur um sein Geschäft und sein Haus gekümmert hatte? Weder hatte er sie
miniert, noch beschoß er sie. Nicht einmal hatte er, als Handlungsgehilfe, auf
der Kapija gesessen, noch seine Zeit mit Singen und müßigen Scherzen verbracht,
wie es die Wischegrader Jugend tat. Sein ganzes Leben zog vor seinen Augen
vorüber, mit
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