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Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Autoren: Klaus Kreiser
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(1900–1982), der gelehrte Nachlassverwalter der Mevlevî-Bruderschaft,der selbst ein feiner Kenner der klassischen osmanischen Literatur war, beklagte in einem Abgesang die Lebensferne der Diwan-Dichtung:
    Wo bleibt Galata mit seinen Weinschänken und Lasterhöhlen, seinem ganzen Elend, wo die Kaffeehäuser der Fischer? Wo die volkstümlichen Viertel von Aksaray, Haseki und Samatya, die Quartiere an der Innenseite und außerhalb der Stadtmauern? Wo bleiben die eng aneinandergedrängten Häuser, die tagdunklen Gassen …, die zerstörten Straßenpflaster, die rabenschwarze Dunkelheit, das gnädige Licht des Mondes? Wo die Friedhöfe, die Zypressen, die auf den Friedhöfen nächtigenden Lebenden, die quittengelben Gesichter, die blutgeröteten Clochards, die von Naschwerk lebenden und sich mit Zobelpelzen kleidenden Söhne der Großen … Wo ist die Fülle und wo ist der Hunger, wo sind die Aufstände der Janitscharen, Furcht, Hoffnung, List, Bestechung?
    Dieser von Gölpinarli und anderen hervorgehobene Mangel der Diwanliteratur wird von der Geschichtsschreibung als dem kräftigsten Zweig der osmanischen Prosaliteratur ausgeglichen. Sie ist in diesem Band durch altosmanische Chronisten und durch die offizielle Annalistik vertreten. Gerne zitiere ich aber auch aus den Schriften so unabhängiger Geister wie Mustafâ Âlîs im 16. Jahrhundert und Ahmed Cevdets, dem klugen Beobachter des politischen und sozialen Wandels in der Tanzîmât-Zeit (1839–1876). Neuere Memoirenschreiber und Publizisten, deren Erinnerungen bis ins 19. Jahrhundert hineinreichen, wurden häufig benutzt. Die hauptberuflichen Journalisten Mehmed Tevfîk (1843–1892) und Ahmed Râsim (1865–1932) haben das Volksleben in spätosmanischer Zeit noch einmal eingefangen.
    Von der nichtmuslimischen Bevölkerung haben die Armenier bis in die Gegenwart den größten Anteil an der imaginären Istanbul-Bibliothek. Ich habe mehrere Texte armenischer Autoren und zumindest eines orthodoxen Autors aufgenommen (Evangelinos Misailidis, 1820–1890).
    Die mit dem sperrigen Wort «nicht-erzählende Quellen» gemeinten Dokumente wie Urkunden und Registereinträge enthalten stets präzise chronologische, topographische oder finanztechnische Einzelheiten, oft aber darüber hinaus Einblicke ins pralle Menschenleben. In diesem Buch sollen sie Schlaglichter auf das Stiftungswesen, die Wasserbewirtschaftung und das Leben der Händler und Handwerker werfen.
    Aus den Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln ergibt sich, dass nicht alle Texte von mir neu übertragen wurden. Dafür hat mir einerseits die von Joseph von Hammer so bezeichnete «Derwischsgeduld» gefehlt,andererseits wäre es unklug und ungerecht gegenüber den früheren Generationen deutschsprachiger Osmanisten und Turkologen gewesen, ihre Arbeiten bei dieser Gelegenheit nicht der Vergessenheit zu entreißen.
    Joseph von Hammer-Purgstall hat zwar in seiner «Geschichte der osmanischen Dichtkunst bis auf unsere Zeit» (1836–1838) ungeheure Textmassen in gebundener Rede übertragen, doch ist seine «Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern», bei allem schuldigen Respekt vor dem Patron aller Osmanisten, für uns Heutige eine etwas anstrengende Lektüre. Die Achtung vor dem großen Hammer-Purgstall hat aber die Aufnahme zweier Leseproben erzwungen. Von älteren deutschsprachigen Übersetzern konnten so gut wie unverändert Texte von Friedrich Giese, Johann Heinrich Mordtmann, Theodor Menzel und Hellmut Ritter übernommen werden. Der Tscheche Jan Rypka, der vielen Orientalisten und Freunden der persischen Literatur als Iranist ein Begriff ist, hat sich in seinen ersten Jahren als profunder Kenner der klassischen osmanischen Literatur erwiesen. Richard Kreutel stand mir zu nahe, als dass ich auf einen Auszug aus seinem Aşikpaşa-Zâde hätte verzichten dürfen. Annemarie Schimmel hat über viele Jahre türkische Literatur aus allen Epochen in schönes Deutsch übertragen. Ich danke der verstorbenen Kollegin für die Erlaubnis zum Abdruck. In diesem Buch muss ich mich mit Auszügen aus ihren Übersetzungen von Yunus Emre, Süleymân Çelebî, Bâkî, Murâdî und Nedîm begnügen.
    Meine eigenen Übersetzungen und Zusammenfassungen sind mehr oder weniger frei. In keinem Fall habe ich Lesbarkeit einer wörtlichen Texttreue geopfert. Zusätze und Weglassungen sind meist durch Klammer und Punkte gekennzeichnet. Die Anmerkungen sind alles andere als erschöpfend. In ihnen will ich nicht mehr als die
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