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Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Autoren: Klaus Kreiser
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Straßennamen halten die Erinnerung an reiche Stadthäuser der Paschas fest. Das belebte Innenstadtviertel Çağaloğlu heißt nach dem Saray eines Cigala-Zâde Sinân Pascha. Der Pascha wurde 1544 unter dem Namen Scipione als Sohn eines Visconte di Cicale in Messina geboren und machte nach seiner Gefangennahme in der Seeschlacht von Dscherba (1560) und dem Übertritt zum Islam im Osmanischen Reich Karriere. Europäische Migranten sind verantwortlich für Ortsnamen wie Arnavutköy («Albanerdorf»), Belgrad (im nördlichen Waldgebiet) und Polonezköy (von Polen gegründeter Ausflugsort in den Wäldern der asiatischen Seite).
    Wie in allen Metropolen wartet noch eine Reihe von merkwürdigen Straßennamen auf die Entschlüsselung durch die Lokalforscher. Dergroße Lokalhistoriker des 18. Jahrhunderts Hüseyin Ayvansarâyî hat an vielen Stellen vorgearbeitet, wenn er zum Beispiel den Namen der Soğanağa Mescidi auf einen Aufseher über den Handel mit Zwiebeln
(soğan)
aus der Zeit Bâyezîds II. zurückführt. Über die Herkunft von Beyoğlu gibt es eine ganze Reihe von sich ausschließenden Hypothesen, auch die Stadtteilnamen Findikli («Ort der Haselnüsse»), Beşiktaş («Wiegenstein»), Şişli, Moda und viele andere sind noch nicht befriedigend erklärt.
    Viel einfacher lässt sich Taksim deuten. Der erst im 19. Jahrhundert als Vorfeld einer Kaserne ausgebaute Platz heißt nach dem arabischen Wort für einen Wasserverteiler. Typisch für Neugründungen des 19. Jahrhunderts sind auf
-îye
endende Stadtteil- und Dorfnamen wie Teşvikîye und Mecîdîye. Sie entstanden nicht nur wie die Letztgenannten als Trabantensiedlungen europäischen Musters, sondern auch in der Altstadt, um abgebrannte Fläche neu zu nutzen (Ahmedîye in Şehzadebaşi, Fevziye in Yenikapi). Die Namen einiger weniger Stadtteile gehen auf nichtmuslimische Persönlichkeiten der Tanzîmât-Zeit zurück (Feriköy, Pangalti). Erst in der Republik kamen Bezeichnungen auf wie Etiler («Hethiter») oder Ataköy, das nach Atatürk genannte «Hansaviertel» Istanbuls. Damals wurden auch die Namensschilder fast aller wichtigen Straßen ausgetauscht. Aus der Bâb-i Âlî («Hohe Pforte») Caddesi wurde die Ankara Caddesi, die «Große Straße» in Pera/Beyoğlu heißt seither İstiklâl («Unabhängigkeit»).
Das Istanbul der Dichter
    Die Autoren übertrafen sich in der Erfindung schmückender Beiwörter für ihre Stadt. Manche dieser
Epitheta Ornantia
sind konventionelle Bezeichnungen, welche die Dichter schon früher den Metropolen und Residenzen der islamischen Welt verliehen haben: «Die wohlbehütete Stadt Kostantinîye, der mächtige Dom des Islam, Sitz und Residenz, in der die Zelte der glorreichen Herrscher aufgeschlagen werden …» oder «Die Stadt Kostantinîye, deren Klima die Freude vermehrt und den Kummer vertreibt und die unter den Städten der Welt den Ruhmestitel Mutter der Erde beansprucht und der Ort des großmächtigen Kalifats und der allerhöchsten Majestät ist …». Ein in die Hauptstadt verliebter Dichter des 16. Jahrhunderts baute das folgende Städtelob:
    Die Stadt Istanbul,
deren Antlitz schön und lieblich ist wie das Strahlen der zarten Jünglinge und deren angenehmes, leicht und köstlich zu genießendes Wasser zuckersüßem Scherbet gleicht,
deren die Seele erfrischende, moschusduftende Luft an die krausen Schläfenlocken ihrer graziösen Geliebten gemahnt,
deren Gazellenauge neckisch und vollkommen ist wie der dunkle Fleck auf der Wange des Geliebten
und deren Bewohner Antlitze tragen wie die im höchsten Paradies lebenden Huris.
    Der Glanz der Stadt reichte bis in die entfernten Provinzorte. Der Dichter Yûsuf Nâbî (1642–1712) verbrachte den größten Teil seines Lebens im nordsyrischen Aleppo an der «Schnittstelle» zwischen der osmanisch-türkischen und der osmanisch-arabischen Kultur. Noch heute gehört sein Hauptwerk, ein ethisch-didaktischer Traktat in Versen, zum türkischen Bildungsbesitz. Nâbî bereitet darin seinen spätgeborenen Sohn Ebü’l-Hayr auf ein Leben als Muslim und Intellektueller vor. Nach Ebü’l-Hayr heißt das aus 1647 Versen bestehende Gedicht
Hayrîye
. Für Nâbî ist Istanbul, aus dem er wegen einer Pestepidemie geflüchtet sein soll, «Traumstadt» geblieben. Nicht nur als Sitz des Padischahs, sondern auch wegen ihres wissenschaftlichen Rangs, des hohen Stands der Künste (er hebt besonders Musik und Buchmalerei hervor) und des weit aufgefächerten Gewerbebetriebs.
    Für Wissenschaft
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