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Ist Schon in Ordnung

Ist Schon in Ordnung

Titel: Ist Schon in Ordnung
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ist es sonntagsstill, und als ich in die Wohnung komme, sitzt meine Mutter am Küchentisch und raucht, die Stirn ans Fenster gelehnt.
    »Hallo, wo warst du?«, frage ich. Sie sieht mich an, ohne den Blick zu fokussieren. Das ist noch nie passiert. Es wird still, sie sieht durch mich hindurch. Sie zieht an der Zigarette, bläst langsam den Rauch aus, und es kommt mir vor, als würde sie darin verschwinden.
    »Ich werde wieder heiraten, Audun«, sagt sie.
    Ich stelle die Tasche auf den Boden und trockne die Hände an der Hose ab. Der Deckel im Herd steht offen und schickt Wärme in die Luft.
    »Wen denn? Den Mann mit dem weißen Rücken?«
    »Den Mann mit dem weißen Rücken?«
    »Vergiss es. Kenne ich ihn?«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagt sie ruhig, »ich kenne ihn noch nicht sehr lange.«
    »Aha. Ziehst du aus, oder ist geplant, dass er hier einzieht?«
    »Das ist geplant, ja«, sagt sie, und jetzt ist der Fokus da, und sie sieht mich herausfordernd an.
    »Hm. Dann wird es hier aber verdammt eng«, sage ich und höre Kari kommen, die Kleine ist aufgewacht, und sie ruft durch den Gang:
    »Hallo, Mama! Hier kommen wir!«

18
    M ein Vater ist tot. Zwei Hundeschlittenführer haben ihn auf dem Rückweg von Lilloseter gefunden. Zwei Tage vor Heiligabend. Sie hatten einen Weg abseits der Flutlichtloipe genommen und in einem Waldstück eine Hütte gesehen mit einem Meter Schnee auf dem Dach. Die Hütte war vorher nicht dagewesen, meinten sie, darum dirigierten sie die Hunde dorthin, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Es waren junge Leute, in meinem Alter, mit rotem Anorak und sehnsüchtigem Helge-Ingstad-Blick und einem Abzeichen des Osloer Schlittenhundevereins in Weiß und Blau oben auf dem Ärmel. Die Hütte war klein und solide und absolut wasserdicht. Derjenige, der sie gebaut hatte, wusste, was er tat. In der Hütte lag mein Vater im Schlafsack auf einer Matratze aus Tannenreisig, neben ihm in Schulterhöhe stand ein Primuskocher. Es war kein Petroleum mehr darin, und vermutlich war er eingeschlafen, und die Flamme im Kocher hatte gebrannt und war größer geworden, und dann war er an einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben. Er hat nichts gemerkt. Das sagte jedenfalls der Arzt im Krankenhaus Aker. Er war seit drei Tagen tot, aber es war kalt, und ich stelle mir insgeheim graublaue Luft vor und harschen Schnee, und die Hundeschlittenführer hatten einen Klumpen im Hals und taten ihre Pflicht, sie hoben ihn stocksteif auf den Schlitten und fuhren hinunter nach Ammerud, wo sie den Krankenwagen riefen. Aufgrundeiniger Papiere, die er in dem grauen Rucksack hatte, konnten sie uns am Ende ausfindig machen, und ich glaube tatsächlich, dass ich jetzt froh darüber bin.
    Der Anruf kam an Heiligabend, morgens um zehn. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Meine Mutter stand in der Küche und rieb den Braten mit Salz und Pfeffer ein. Kari fuhr draußen die Kleine aus. Alf war ein paar Mal dagewesen, aber Kari wollte nicht mehr zurück in das Haus, und meine Mutter sah nicht so aus, als wäre sie darüber unzufrieden. Ihr gefiel es, die junge, aktive Großmutter zu sein. Jetzt warteten wir nur noch auf den nächsten, der hier einziehen sollte.
    Und dann klingelte das Telefon im Gang. Ich reagierte nicht, und sie musste die Küche verlassen, nahm mit zwei Fingern den Hörer ab und klemmte ihn zwischen Kinn und Schulter, wedelte mit den Händen, an denen noch Fett und Gewürze klebten, der Geruch drang bis zu mir herüber, der ich auf der Treppe saß und Zur See und im Sattel las. Das war Irving Stones Jack-London-Biografie. Jack London hatte gerade seine erste Erzählung an den Overland Monthly verkauft. Es war ein reiner Arbeitssieg und so gesehen ein Triumph, denn genau das konnte er. Arbeiten. Seine Kumpel kauften die gesamte Auflage, aber er bekam für die Erzählung nicht mehr als fünf Dollar, und das fand sogar ich anrüchig wenig, und meine Mutter wurde immer stiller, bis sie überhaupt nichts mehr sagte, sondern die Hände in die Luft streckte, mit einem starren Lächeln um den Mund, und ich sah nur noch sie an und schaute nicht mehr in das Buch. Ich glaube, ich wusste, was Sache war, bevor sie etwas sagte. So etwas gibt es. Mit denselben zwei Fingern legte sie den Hörer zurück, äußerst vorsichtig, ihre feuchten Augen schauten leer und verwirrt.
    »Es geht um deinen Vater, Audun«, sagte sie. »Er ist tot. Ich verstehe das nicht. Sie haben gesagt, dass er tot in einer Hütte lag, hier
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