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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
Autoren: Veronica Wolff
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paar Typen, die genau wie ich nicht so ganz ins Schema passten. Bestimmt gab es mindestens ein Mädel auf dem Campus, das nichts von French-Pediküre hielt. (Glauben diese Tussen echt, sie könnten unsereinen täuschen, wenn sie ihre Nagelränder mit weißem Lack zukleistern?) Ein Mädel, das ein oder zwei schwarze Teile im Kleiderschrank hatte. Das sich Gedanken über die wichtigen Dinge des Lebens machte. Ein Mädel eben, für das »French« auch noch was anderes bedeuten konnte als spuckefeuchte Küsse.
    Bestimmt würde ich eine Freundin finden, oder?
    Ich schaltete runter und steuerte meinen kleinen Civic auf den Parkplatz an der Museum Road. Ich musste gar nicht erst auf der Campus-Karte nachsehen – ich hatte mir den Lageplan längst eingeprägt. Tatsächlich hatte ich von dem Moment an, als die College-Unterlagen ankamen, jede Einzelheit bis hin zum »Ungeziefer-Ratgeber« in- und auswendig gelernt.
    Das Immatrikulationsamt war vollklimatisiert und so kühl, dass ich erst mal eine Gänsehaut bekam. Das war noch so ein Punkt in diesem Staat, der mich total nervte: Nichts gegen eine angenehme Zimmertemperatur, aber das zwanghafte Bemühen, in sämtlichen Innenräumen für schattige 17 Grad zu sorgen, ergab für mich keinen Sinn. Wir hatten Januar, verdammt noch mal!
    Ich zog meinen Lieblingshut tiefer in die Stirn. Es war ein beiger Bast-Fedora mit einer schmalen Krempe, wie man ihn manchmal bei so alten Kubanern sah. Eigentlich trug ich ihn vor allem, um das auffällige Blond meiner Haare ein wenig zu dämpfen. Aber er hatte auch seine praktischen Seiten – ich fror gleich etwas weniger.
    Sobald sich meine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, erspähten sie die hochtoupierte Dame am Empfang. Sie saß in einer Art Glaskasten wie eine dieser altmodischen Jahrmarkt-Wahrsagerinnen und begrüßte jeden von uns Neuankömmlingen mit einem säuerlichen Korallenlippenstift-Lächeln.
    Wenn dir junge Leute so sehr auf den Keks gehen, darfst du nicht an einem College arbeiten, Lady! Sie richtete ihren Blick auf mich, und ich erwiderte ihr frostiges Lächeln.
    Aber es erstarrte in dem Moment, als ich ihn sah.
    Groß, dunkel und rattenscharf lehnte er an einer Säule und beobachtete mich, während ich meinen Platz am Ende der Schlange einnahm. Strubbeliges schwarzes Haar stand widerspenstig in alle Richtungen ab. Seine zu Schlitzen verengten Augen strahlten so intensiv, als wollte er jetzt und auf der Stelle Sex. Vielleicht sogar mit mir.
    Er brachte mich so aus dem Konzept, dass ich schnell woanders hingucken musste. Irgendwie kam ich mir ertappt vor. Als hätte ich ihn angestarrt und nicht umgekehrt.
    Aber als ich mich gerade abwenden wollte, erspähte ich das halb vom Ärmel seines T -Shirts verdeckte Tattoo. Es war ein Zitat.
    Etwas klickte in meinem Hinterkopf, und ich guckte noch einmal genauer hin. Bei dem Gedanken, dass er mich immer noch beobachten könnte, lief ich rot an.
    Die erste Hälfte des Zitats konnte ich nicht entziffern, aber der Rest sagte alles: »… c’est le paradis perdu.«
    Mir stockte der Atem. Wieder spürte ich eine Gänsehaut, aber diesmal hatte sie nichts mit der heruntergekühlten Raumtemperatur zu tun. Ich kannte die Zeile genau. »Le seul paradis c’est le paradis perdu.«
    Das einzige Paradies ist das verlorene Paradies.
    Wow. Meine erste College-Begegnung, und der Junge mochte Proust. Ich war endlich angekommen.
    Mit angehaltenem Atem zwang ich mich, ihm in die Augen zu schauen. Sie waren nicht schwarz wie sein Haar, sondern … heller. Grün. Unsere Blicke trafen sich, und der Rest der Welt tauchte unter mir weg.
    Die Empfangsdame rief mich auf, und ich trat mit dem Grinsen einer Bauchredner-Puppe vor. Nur jetzt nicht stolpern. Himmel, ich kam mir vor wie eine Vollidiotin.
    »Hi«, sagte ich zu der Dame, erleichtert, dass ich es trotz der Laser-Sex-Blicke des College-Boys geschafft hatte, ein Wort herauszubringen. »Ich bin hier … also, ich bin hier … weil ich mich immatrikulieren will.«
    Vollidiotin.
    »Name«, schnarrte sie und holte mich in die Gegenwart zurück.
    Ich gab ihr meine Daten und überlegte dabei, ob mich der College-Boy immer noch beobachtete. Um meine Nervosität etwas einzudämmen, ballte ich die Hände zu Fäusten.
    Er war der Typ, von dem ich immer geträumt hatte. Zumindest schien er meinem Ideal sehr nahezukommen. Gewieft und abgeklärt. Er bestellte ganz sicher Espresso Romano, knackte problemlos das komplizierte
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