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Isis

Isis

Titel: Isis
Autoren: Brigitte Riebe
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Gegenwehr sackte Anu zusammen.
    »Mir wird auf einmal so kalt«, flüsterte er und fasste an sein Herz. »Isis? Wo bist du? Isis . ich sehe dich nicht mehr .«
    Seine Beine zuckten, dann bewegte er sich nicht mehr. Khay warf sich über ihn. »Verdammter Idiot«, sagte er erstickt. »Du hast nicht gestottert. Wieso hast du plötzlich nicht mehr gestottert?«
    Als Anu nicht zurückkam, schwärmten alle männlichen Hochzeitsgäste aus, um ihn zu suchen. Zwei Schreiber waren es, die ihn schließlich vor dem Räucherschuppen entdeckten, auf ihre Schultern nahmen und zurücktrugen.
    Es war Nacht geworden, und nachdem sich die Festgesellschaft wegen der langen Suche zerstreut hatte, wachte nur Meret noch bei Isis.
    »Sieh nicht hin!«, sagte sie, als die Männer den Toten in Nezems alte Werkstatt legten, und sie versuchte mit ihren Händen den Anblick abzuschirmen. »Es ist vielleicht besser für dich.«
    Aber Isis ließ sich nicht zurückhalten. »Er sieht so schön aus«, sagte sie und legte sich neben Anu auf den Boden. »Wie ein Schlafender. Nie war Anu so schön!« Sie streichelte seinen Kopf. »Warum heute, Meret? Warum ausgerechnet heute?«
    »Er hat es also getan«, sagte Meret. »Khay hat seine Drohung wahr gemacht. Ich hätte es wissen müssen. Sie werden ihn sicherlich bald finden. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
    Isis begann zu weinen, haltlos und verzweifelt wie ein Kind.
    »Jetzt haben mich alle verlassen, Mama, Papa, und nun auch Anu. Was ist nur an mir, dass keiner bei mir bleibt? Was habe ich Schreckliches an mir, dass alle mich allein lassen?«
    Meret nahm sie in die Arme und wiegte sie sanft.
    »Es liegt nicht an dir, Isis«, sagte sie. »Unser Schicksal wartet irgendwo auf uns. Wir können uns dagegen auflehnen oder es annehmen - es kommt letztlich auf das Gleiche hinaus.«
    »Worte!«, sagte Isis und schob Meret beiseite. »Alles nur Worte! Was ich bin ich für eine Braut, die keinen Bräutigam hat? Eine Ehefrau ohne Mann? Nicht einmal ein Andenken habe ich von ihm. Nichts habe ich, gar nichts!«
    »Doch«, sagte Meret leise. »Mich. Du hast mich. Und meine Liebe.«
    »Dann beweis sie mir!« Isis schien plötzlich wie von Sinnen.
    »Beweis mir deine Liebe — jetzt! Auf der Stelle.«
    »Was soll ich tun?«, fragte Meret unsicher.
    »Du weißt schon, was ich meine. Anu, mein Bräutigam, ist tot, ermordet von seinem Bruder — deinem Bruder. Ich wünsche mir, dass du heute Nacht Anus Platz einnimmst.«
    »Das kann ich nicht!« Meret sprang auf und hielt die Hände schützend vor ihren Körper. »Das darfst du nicht von mir verlangen!«
    »Doch, ich darf«, sagte Isis. »Und du kannst es. Du musst, Meret, bitte!«
     
    oooo
     
    Beim ersten Licht des Tages erhob sich ein Wind, so stark, dass das Sperberweibchen zu schwanken begann. Es musste immer wieder mit den Flügeln schlagen, um sich in der Luft zu halten, aber es gelang schließlich.
    Der Geliebte lag unter ihr, schöner als vor seinem Tod: der wiederauferstandene Osiris, der Leben und Sterben in seinem Leib vereinte. Das Land, das lang getrauert hatte, spürte, wie neues Leben erwachte, winzig und keimend noch, aber dennoch stark.
    »Zwei Kräfte gibt es«, sagte Meret leise, »die Große Göttin und den Großen Gott. Liebend umfangen sie sich und lassen damit die Schöpfung erwachen ...«
    »Ich danke dir«, flüsterte Isis und schmiegte den Kopf an ihre Schulter. »Du hast mich sehr, sehr glücklich gemacht.«
     
    OOOO
     
    Im Halbschlaf fuhren sie auseinander, als laute Schritte ins Haus gepoltert kamen. Bevor sie sich noch richtig bedecken konnten, stand schon der erste Medjai im Zimmer.
    »Zwei Frauen«, rief er. Sein Blick schweifte gierig über ihre Körper. »Und beide nackt.«
    »Eine von ihnen muss die Diebin sein«, rief ein anderer. »Sie trägt einen goldenen Armreif. Daran erkennst du sie.«
    Meret schlang eine Decke um sich.
    »Es ist der Reif meiner Mutter«, sagte sie ruhig, obwohl ihr Herz hart gegen die Rippen schlug. Sie hatte mit Pachers Rache gerechnet. Aber nicht, dass sie sie ausgerechnet in diesem Augenblick einholen würde.
    »Das kann jeder sagen!« Der Medjai macht keinerlei Anstalten beiseite zu treten. »Und meine Mutter hat mir einen halben Elefanten vererbt.« Er lachte hämisch. »Auf der Wache hast du Zeit genug, uns dein hübsches Lügenmärchen in aller Ausführlichkeit zu erzählen. Und jetzt raus aus dem Bett, aber schnell! Zwei Weiber unter einer Decke - wie ekelhaft! Habt ihr denn keine Kerle, die es euch
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