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Isis

Isis

Titel: Isis
Autoren: Brigitte Riebe
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so absurd, dass sie lieber auf eine Antwort verzichtete.
    »Rette das Kleine! Sein Leben ist keinen einzigen Deben Kupfer mehr wert, sobald das neue Kind den ersten Schrei getan hat.« Sarit berührte ihren Bauch mit einer hilflosen Geste. »Vorausgesetzt, es ist männlich und ohne Makel wie Khay. Für seinen Erstgeborenen würde Basa alles tun. Aber das Kleine? Niemand weiß besser als ich, wozu Basa fähig ist.«
    »Unsinn!«, fiel Ruza ihr ins Wort. Sie wollte nichts mehr davon hören, gerade weil eine innere Stimme ihr sagte, dass es die Wahrheit war. Für das ungeborene Kind konnte sie noch keine Gefühle aufbringen. Aber dem Kleinen, ihrem Kleinen, durfte nichts geschehen! Erst neulich hatte es sich im Schlaf erbrochen und wäre, hätte sie nicht rechtzeitig nach ihm gesehen, womöglich an seinem eigenen Auswurf erstickt. Am glücklichsten fühlte sie sich, wenn es beim Einschlafen sein Köpfchen auf ihre Brust sinken ließ. »Das Kleine ist eine heilige Gabe der Götter .«
    »Ich weiß«, fiel Sarit ihr ins Wort. »Ich kenne deinen Schmerz. Ein Meer von Tränen, als deine Tochter zu Osiris gegangen ist. Aber das ist vorbei. Du brauchst nicht mehr zu weinen. Das Kleine ist jetzt dein Kind. Und du bist seine Mutter — für immer. Willst du, Ruza? Du musst dich nur entscheiden.«
    Die Amme spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Das Kleine niemals wieder hergeben zu müssen? Eine jähe Sehnsucht ließ ihren Körper ganz schwer werden. Dann jedoch gewann die Vernunft wieder Oberhand. Sarit war offenbar dabei, den Verstand zu verlieren. Oder sie trieb ein grausames Spiel mit ihr. Und trotzdem — da war dieser wahnwitzige Hoffnungsfunke, der auf einmal ihr ganzes Sein erfüllte.
    »Aber das geht doch nicht«, sagte sie matt. »Das dürfen wir nicht tun.«
    Sarits schmale Hand glitt zu ihrem Schoß. Dann konnte Ruza hören, wie sie schwer ausatmete. Das Tuch unter ihr war bereits vom Fruchtwasser durchtränkt. »Uns läuft die Zeit davon. Ihr müsst fort, aus dem Haus, aus Waset. Weit genug, dass er euch nicht finden kann.«
    »Aber wohin?«
    »Stromaufwärts. Zum großen Isis-Tempel. Gegenüber diesen Mauern ist sogar Basa machtlos.«
    »Unmöglich! Weißt du denn nicht, was in der Stadt los ist?«
    Ruzas Lippen waren vor Aufregung blass geworden. »Alle sagen, die fremden Soldaten sind nicht mehr aufzuhalten.
    Wer fliehen kann, ist längst mit Hab und Gut verschwunden.
    Außerdem nehmen die letzten Schiffe schon seit Tagen keine Passagiere mehr auf.«
    Statt einer Antwort heulte Sarit auf.
    Ruza fuhr zusammen. Inzwischen war es so stickig im Zimmer, dass sie kaum noch atmen konnte. »Wir werden doch die Alte holen müssen«, sagte sie und rieb sich den Nacken mit einem Tuch trocken. Das dünne Kleid klebte an ihrem Körper wie eine zweite Haut. Eine fiebrige Unruhe hatte sie ergriffen. Die Vorstellung, mit dem Kleinen für immer zusammen zu sein, wurde schier übermächtig.
    »Nein, das werden wir nicht!« Plötzlich klang Sarit wieder ganz energisch. Sie tastete unter die Unterlage und zog ein halbes Dutzend Goldreifen hervor. »Ein lächerlicher Bruchteil meines einstigen Vermögens. Alles andere hat Basa sich einverleibt. Ich wette, selbst für den Fall einer Scheidung ist bereits alles zu seinen Gunsten geregelt.« Ihr Tonfall veränderte sich. »Ich bin deine Geliebte, deine Beute I ich gehöre dir wie das Grundstück, I das ich mit Blumen bepflanzt habe ... Wenn er mich eines Tages verstößt, bin ich kein bisschen reicher als du.« Trotz der Schmerzen war ihr Lachen spöttisch. »Aber hiermit wird sich jeder Kapitän überzeugen lassen. Nach Philae, hörst du, Ruza? Zur Mutter aller Mütter. Warte, bis es dunkel wird! Im Schutz der Nacht habt ihr die besten Aussichten, durchzukommen. Schwöre mir bei deinem Leben, dass du alles dafür tun wirst!«
    »Ich schwöre. Aber wozu so lange warten?« Das Kleine und sie für immer vereint — jetzt überfiel sie plötzlich die Furcht, es würde doch ein Traum bleiben.
    »Basa wird sich mit eigenen Augen vergewissern, ob seine Handpuppen parieren. Versprich ihm alles! Er muss glauben, dass du Wachs in seinen Händen bist.« Sarit krümmte sich erneut. »Erst danach verschwindest du mit dem Kleinen, anstatt es zu töten.«
    »Und du?«
    »Es gibt jetzt wahrhaft Wichtigeres zu tun.«
    »Aber du brauchst jemanden, der dir beisteht«, beharrte Ruza.
    »Selene«, flüsterte Sarit, bevor sie einen schrillen Schrei ausstieß. Jetzt, während die Angst unaufhaltsam wuchs,
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