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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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nur normal. Wenn »normal« schon nichts für die Ewigkeit ist, dann sind »normal« nur vorübergehende Verhaltensweisen, die jedem von uns unterlaufen können, auch Ihnen und mir. Auf die Gefahren dieser »Normalität« wollte das Buch hinweisen, ohne freilich ihre Segnungen zu verschweigen. Denn in diesem Leben sind wir darauf angewiesen, dass das meiste »normal« abläuft. Erst dann können wir die Kraft und die Muße finden, das Außerordentliche zu schätzen - und es davor bewahren, selber »normal« zu werden. Und schließlich sei es dem Psychiater gestattet, die Liebenswürdigkeiten seiner Patienten stärker ins Licht zu rücken, als bloß die Mühseligkeiten zu katalogisieren, die psychische Krankheiten natürlich immer für die Patienten selbst, aber auch für ihre Mitmenschen bedeuten.
     
    Sollte jemand nach Lektüre dieses Buches der Auffassung sein, dass das alles »nicht so einfach ist« und man das »viel differenzierter und ausführlicher darstellen muss«, so möchte ich schon hier erklären, dass ich dem ohne Umschweife zustimme. Allerdings unter Ersetzung des »muss« durch ein »kann«. Denn umfangreiche psychiatrische Lehrbücher gibt es genug.
Das derzeit bekannteste Lehrbuch hat freilich ein solches Gewicht, dass es bei einer Fallhöhe von einem Meter den Bruch eines Mittelfußknochens bewirken würde. Unter diesem unfallchirurgischen Blickwinkel ist das vorliegende Buch völlig ungefährlich. Es versteht sich eher als kleine Praline denn als große Torte, als Appetitanreger und nicht als Sättigungsbeilage. Das Buch ist für Menschen geschrieben, die nicht vom Fach sind und die sich einen Überblick über die spannende Welt der Psychiatrie und Psychotherapie verschaffen möchten. Es hat mich sehr beruhigt, dass der gegenlesende Metzger das Buch verständlich fand. Nur bei den blödsinnig normalen »Sinusmilieus« sei er zurückgeschreckt. Im Wörterbuch habe er gefunden, dass es sich da um Hohlräume handeln müsse. Er vermutete also, Sinusmilieus hätten mit Hohlraumversiegelung zu tun. Ich finde, das trifft es.
     
    Wer sich genauer informieren will, der sei natürlich auf die umfangreiche Fachliteratur verwiesen. Es gibt auch gute allgemeinverständliche Handreichungen zu einzelnen psychischen Erkrankungen für Patienten und Angehörige. Insbesondere gibt es hervorragende Selbsthilfeinitiativen von Betroffenen und Angehörigen, die sich nicht selten fachlich besser auskennen als mancher Fachkollege. Wir Fachleute haben uns gerade auf dem Gebiet von Psychiatrie und Psychotherapie offen und mit Argumenten kritischen Anfragen zu stellen. Es sollte zum Beispiel selbstverständlich sein, dass ein Patient den Therapeuten erst einmal nach seiner Ausbildung fragt, danach, nach welcher Methode er »Psychotherapie« durchzuführen beabsichtigt, und was die Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Therapieform sein könnten. Denn Psychiatrie und Psychotherapie funktionieren eben nicht nach dem alten Psychiaterwitz: Fragt ein Passant einen Psychiater: »Wo geht’s zum Bahnhof?« Antwort: »Weiß ich auch nicht, aber es ist gut, dass wir darüber geredet haben.«
     
    Vor allem aber sollte man sich nicht andauernd mit seiner Psyche befassen. Dafür ist sie nicht gebaut. Und auch nicht mit seinem Psychiater, den sollte man am besten irgendwann
vergessen. Lösungsorientierung bedeutet nämlich auch, dass der Patient sich von seinem Psychiater löst, der ja doch nicht mehr getan hat, als auf geschickte Weise dem Patienten wieder Zugang zu den eigenen Kräften zu verschaffen - mit denen er seine Probleme und seine Therapiebeziehung lösen kann. Ein Psychiater, der Dankesbriefe von seinen Patienten erwartet, hat etwas Wichtiges an seiner dienenden Aufgabe nicht verstanden. Wenn er sie dennoch bekommt, sollte er sich freilich nicht allzusehr grämen. Psychiatrie und Psychotherapie liefern bloß nützliche Methoden, um zeitweilige Störungen zu lindern oder zu beseitigen. Das ist ein höchst begrenztes Geschäft. Wege zum Glück haben die Psychowissenschaften nicht im Angebot. Und sicher gilt auch hier der Spruch von Odo Marquard: »Der Sinn, und dieser Satz steht fest, ist stets der Unsinn, den man lässt.« Wenn man die Menschen landesweit in Ratgebern und Illustrierten mit einem ununterbrochenen Psychogemurmel berieselt, dann besteht die Gefahr, dass irgendwann auch auf diesem Gebiet das eintritt, was Aldous Huxley der ganzen Medizin warnend voraussagte: »Die Medizin ist so weit fortgeschritten, dass niemand
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