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Irgendwo da draußen - Kriminalroman

Irgendwo da draußen - Kriminalroman

Titel: Irgendwo da draußen - Kriminalroman
Autoren: Grafit
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Epidemie. Für Charcot, der im neunzehnten Jahrhundert an der Pariser Salpêtrière lehrte, entwickelten die Frauen hysterische Anfälle, für Freud Lähmungserscheinungen. Und heute lassen sie sich von Außerirdischen in Raumschiffe entführen. Bestimmte Symptome breiteten sich im Umfeld berühmter, charismatischer Ärzte wie ansteckende Krankheiten aus. Man könnte fast sagen, Patientinnen entwickelten Krankheitsbilder, um ihren männlichen Therapeuten zu gefallen.«
    »Corinna Lahrmann und Sandra Nebel waren bei Friedhelm Angernagel in Behandlung.«
    Paulus verdrehte die Augen. »Das habe ich mir fast gedacht. Frau Nebel ist nicht die erste Patientin von Angernagel, die hier gelandet ist. Der Mann arbeitet mit haarsträubenden Methoden, gelinde gesagt.«
    »Und warum unternehmen Sie nichts gegen ihn? Kann man nicht verhindern, dass er seinen Beruf, oder was immer das ist, was er tut, weiter ausübt?«
    »Das ist gar nicht so einfach. Sehen Sie, die Bezeichnung Therapeut ist nicht geschützt. Im Grunde kann sich jeder Therapeut nennen. Dazu ist weder ein Hochschulabschluss noch gesunder Menschenverstand notwendig. Angernagel hat sogar einen akademischen Grad in Psychologie. Er hat ihn in Thailand erworben, ich vermute mal, für ein paar tausend Dollar. Die einzige Chance, ihn zu stoppen, besteht darin, dass ihn Patienten anzeigen. Aber die Beweisführung vor Gericht ist in solchen Fällen äußerst schwierig, schließlich findet das Therapiegespräch ohne Zeugen statt. Und welcher Gutachter will entscheiden, ob bestimmte psychische Probleme erst durch die sogenannte Behandlung hervorgerufen wurden?«
    Ich dachte an Sandra. »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder gesund wird?«
    Doktor Paulus lächelte. »Ihr Versuch ist ehrenwert. Trotzdem lasse ich mir keine Diagnose entlocken. Und letztlich ist geistige Normalität eine sehr relative Größe. Im Wesentlichen helfen wir unseren Patienten nur, mit den Anforderungen des täglichen Lebens zurechtzukommen. Wir müssen Frau Nebel nicht davon überzeugen, dass es keine Außerirdischen gibt. Wenn sie lernt, mit den Außerirdischen umzugehen, kann sie auch ihr eigenes Leben meistern.«
    »Wann, sagten Sie, kann ich Sandra besuchen?«
    Paulus wirkte wesentlich aufgeschlossener als zu Beginn unseres Gespräches. »Kommen Sie morgen noch einmal vorbei! Vielleicht ist Frau Nebel dann schon ansprechbar.«
    »Würden Sie ihr liebe Grüße von mir bestellen?«
    »Und wie ist Ihr Name?«
    »Georg Wilsberg.«
    »Der Privatdetektiv?«
    »Sie haben von mir gehört?«
    »Christoph Wallhorst ist ein Cousin von mir.«
    »Oh.«
    »Das schwarze Schaf der Familie.«
    Dem hatte ich nichts hinzuzufügen.
     
    Ich hatte es die ganze Zeit vor mir hergeschoben, aber jetzt war ich in der richtigen Stimmung dazu. Die Wut, die sich in mir aufgestaut hatte, suchte ein Objekt. Ich wollte ihn und Angernagel sollte mich kennenlernen. Vielleicht würde es für uns beide eine Begegnung der vierten Art werden.
    Diesmal parkte ich direkt vor dem weißen Haus in Nienberge-Häger. Ich stieß das Gartentor auf, marschierte durch den kleinen, verwilderten Garten und drückte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf eine überdimensionale Klingel.
    Prompt sprang die Haustür auf, und ich stand, nachdem ich an eine Seitentür mit der Aufschrift Praxis geklopft hatte, in einem kleinen Büroraum. Der Anblick einer älteren Frau in einer gestärkten weißen Bluse ernüchterte mich etwas. Die Frau blickte mich durch eine Sekretärinnenbrille an.
    »Sie wünschen?«
    »Ich möchte mit Herrn Angernagel sprechen.«
    »Haben Sie einen Termin?«
    »Nein. Mein Name ist Wilsberg. Privatdetektiv. Sagen Sie Angernagel, dass ich ein Freund von Sandra Nebel bin, dass Franka Holtgreve für mich arbeitet und mir außerdem das Schicksal von Corinna Lahrmann gut bekannt ist!«
    Was sie hörte, schien ihr nicht zu gefallen, doch sie bequemte sich, ihren fülligen Körper quer durch den Raum zu tragen und hinter einer gepolsterten Tür verschwinden zu lassen.
    Zwei Minuten später kam sie zurück und hielt die Tür auf. »Herr Angernagel erwartet Sie.«
    Angernagel war ein großer, fast magerer Mensch mit einem zerknitterten Gesicht und schmutzig grauen Haarsträhnen, die dekorativ auf der Kopfhaut verteilt waren. Sein Oberkörper pendelte leicht nach vorn, als hätten die Muskeln Schwierigkeiten, die oberen Körperregionen aufrecht zu halten. Die zugeknöpfte Strickjacke, die ich schon neulich gesehen hatte, war
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