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Irgendwo da draußen - Kriminalroman

Irgendwo da draußen - Kriminalroman

Titel: Irgendwo da draußen - Kriminalroman
Autoren: Grafit
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Kloster Marienthal weiterzuführen. Doch die findigen Schwestern ließen nicht von der Nächstenliebe ab, kauften ein großes Gut am nördlichen Stadtrand und machten daraus eine Klinik.
    Ich stellte den Wagen auf dem Besucherparkplatz ab und betrat das parkähnliche, fast menschenleere Gelände. Zweistöckige, in optimistischen Pastellfarben gestrichene Häuser standen links und rechts der Wege, und es war sicher als Intelligenztest gedacht, hier jemanden ausfindig zu machen.
    Nach mehreren Fehlversuchen entdeckte ich schließlich das richtige Haus und auch eine Doktor Paulus, die sich bereit erklärte, mit mir über Sandra Nebel zu sprechen. »Sind Sie der Ehemann oder Lebensgefährte von Frau Nebel?«
    »Weder noch. Ich bin ein Bekannter. Aber ich weiß von Sandras Problemen mit den Außerirdischen.«
    »Sie schläft im Moment«, sagte Doktor Paulus, eine groß gewachsene Frau mit strenggeschliffenen Brillengläsern. »Wir haben ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.«
    »Und wie geht es ihr?«
    »Den Umständen entsprechend. Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Ich halte es auch für das Vernünftigste, wenn Frau Nebel in den nächsten Tagen keinen Besuch empfängt. Sie muss sich erst wieder einigermaßen zurechtfinden. Jede Aufregung sollte vermieden werden.«
    »Verstehe«, sagte ich enttäuscht. »Haben Sie eigentlich Erfahrung mit Entführungen durch Außerirdische, ich meine, in Ihrer Klinik?«
    Paulus deutete ein Nicken an. »Eine neue Hysterie, die aus den USA herüberkommt. Dort gibt es bereits Tausende von Fällen, in Deutschland sind die Symptome noch relativ unbekannt. Obwohl das Wort Hysterie ja aus der Mode gekommen ist. Heutzutage bevorzugt man Bezeichnungen wie Chronisches Müdigkeitssyndrom oder Multiple Persönlichkeit. Mit den guten alten Lähmungserscheinungen, die Freud behandelt hat, gibt sich niemand mehr zufrieden.« Ein Lächeln flackerte auf. »Außer in Ländern, in denen die Psychoanalyse so gut wie unbekannt ist. Übrigens hat C. G. Jung schon 1959 das UFO-Phänomen psychoanalytisch gedeutet. Er hielt es für ein frühes Anzeichen der bevorstehenden Jahrtausendwende. Sollte er recht behalten, und einiges spricht dafür, werden sich die Außerirdischen-Entführungen in den nächsten Jahren epidemisch ausbreiten.«
    »Und was steckt dahinter?«, fragte ich. »Ich kenne noch einen zweiten Fall, in dem Außerirdische eine Rolle spielen.« Doktor Paulus hörte aufmerksam zu, als ich den Selbstmord von Corinna Lahrmann erwähnte. »Wieso glauben intelligente Menschen einen solchen Blödsinn?«
    »Konkret darf oder kann ich zu den beiden Fällen nichts sagen«, erwiderte Paulus kühl. »Aber generell gilt: Die meisten Menschen kommen besser damit klar, wenn sie die Ursache für ihre Ängste, ihre Beklemmungen, ihr Unglücklichsein nicht in sich selbst suchen müssen, sondern dafür eine äußere Bedrohung oder eine allgemein anerkannte Krankheit verantwortlich machen können. Und fällt es heutzutage nicht leichter, an Außerirdische und UFOs zu glauben, als an Gott, den Teufel und die himmlischen Heerscharen? Mit anderen Worten: Der UFO-Glaube trägt Züge einer Ersatzreligion. Dass hauptsächlich Frauen von den Außerirdischen entführt werden, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Seit jeher gilt Hysterie als weibliche Krankheit. Man kann sie als Ausdruck der Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft ansehen. Aber ich will Sie nicht mit einem feministischen Vortrag langweilen.«
    »Das tun Sie keineswegs«, versicherte ich.
    »Na schön.« Doktor Paulus fand sichtlich Gefallen an ihren Ausführungen. »Die große hysterische Welle Ende des neunzehnten Jahrhunderts, die auch Freud inspirierte, fand statt, als Frauen, trotz zunehmender Bildung, der Zugang zu den meisten Berufen verwehrt wurde. Gerade die gebildeteren Frauen fühlten sich in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter unterfordert. Sie flüchteten sich in Krankheitssymptome, um wenigstens als Patientinnen ernst genommen zu werden. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Männer können ihre Ängste im Beruf und in Männergruppen abreagieren, Frauen haben dem nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Ganz abgesehen davon, dass vielen bizarren Krankheitsbildern oft ganz reale Verletzungen, wie zum Beispiel sexueller Missbrauch, zugrunde liegen.«
    »Wenn ich Sie richtig verstehe«, gab ich mich lernwillig, »folgen die Hysterien dem Zeitgeist?«
    »Ja. Der Hexenglaube im ausgehenden Mittelalter war eine gewaltige hysterische
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