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Internat auf Probe

Internat auf Probe

Titel: Internat auf Probe
Autoren: Dagmar Hoßfeld
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Carlotta.
    Ja!, denkt sie plötzlich. Das wäre doch die Lösung! Papa kann auf Weltreise gehen, und ich zieh zu meiner besten Freundin!
    Papa wirft ihr einen kurzen Seitenblick zu. „Kommt gar nicht in Frage“, sagt er.
    „Warum nicht?“
    „Weil du zu deiner Mutter ziehst.“ Papa hält an einer roten Ampel. Seine Hände umklammern das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. „Keine Diskussion, verstanden? Deine Mutter und ich sind uns ausnahmsweise einig, dass das die beste Lösung ist.“
    „Für euch vielleicht!“, schleudert Carlotta ihm entgegen. In ihren Augen brennen bittere Tränen. Carlotta wischt sie mit einer Handbewegung fort. Sofort strömen neue nach. „Werd ich denn überhaupt nicht gefragt? Es geht schließlich um mich, oder nicht?“
    „Natürlich geht es um dich“, seufzt Papa. „Aber nicht nur. In erster Linie geht es darum, was für alle Beteiligten das Beste ist. Und das Beste ist, dass du zu Mama ziehst. Es ist doch nur für ein Jahr“, setzt er versöhnlich hinzu. „Danach wird alles wieder wie vorher.“
    „Nichts wird wie vorher“, schnieft Carlotta. „In einem Jahr bin ich vor lauter Kummer alt und verschrumpelt! Wetten?“
    „Carlotta!“ Papa schaltet vor Schreck in den falschen Gang. Das Getriebe knirscht gequält auf. „Bitte!“
    Ist doch wahr!, denkt Carlotta und dreht den Kopf zur Seite.
    Die Tränen laufen ihr übers Gesicht. Carlotta lässt sie einfach laufen. Sie legt die Stirn ans Fenster und starrt hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Seit Mama und Papa sich getrennt haben, hat sie sich noch nie so elend gefühlt wie in diesem Augenblick.

„Das ist ja echt oberfies!“ Katie liegt auf Carlottas Bett und wirft sich eine Handvoll Gummibärchen in den Mund. Sie nascht für ihr Leben gern – besonders, wenn sie aufgeregt ist, so wie jetzt. Deshalb ist sie auch ein bisschen mollig. Aber das stört sie gar nicht. „Lieber rund und gesund als mager und hager“, sagt sie immer.
    „Ich würde abhauen und irgendwo untertauchen, wenn ich du wäre“, nuschelt sie mit vollen Backen. „Ja, klar! Das ist es!“ Sie setzt sich so abrupt auf, dass die Naschtüte beinahe vom Bett rutscht. Sie kann sie in letzter Sekunde auffangen. „Ich könnte dich bei uns verstecken, auf dem Dachboden oder im Keller!“
    Carlotta winkt ab. Wie ein Häufchen Elend hockt sie auf ihrem Drehstuhl am Schreibtisch und dreht sich hin und her, immer wieder, hin und her. „Vergiss es“, sagt sie leise. „Das ist albern. Und bei dir würde Papa mich zuerst suchen.“
    „Hm, stimmt.“ Katie wirft Carlotta ein paar Gummibärchen zu. Sie achtet darauf, dass es nur weiße sind, das sind Carlottas Lieblingsbärchen. „Da, Süßes ist gut für die Nerven.“
    Geschickt fängt Carlotta die Bärchen auf und schiebt sie sich zwischen die Zähne. In ihrem Bauch rumort schon wieder ein dickes Gedankenknäuel. Ein Teil davon steckt noch in ihrem Hals und rührt sich nicht von der Stelle. Seit dem Streit mit Papa steckt es da fest, und der ist schon zwei Tage her.
    „Ich will nicht weg“, jammert Carlotta zum ungefähr tausendsten Mal an diesem Nachmittag. „Ich will hierbleiben!“
    Katie zieht eine Schnute. „Gegen deine Eltern hast du keine Chance“, brummt sie. „Wenn die was beschlossen haben, ziehen sie’s durch. Das hast du doch bei der Scheidung gesehen. Da haben sie dich auch nicht gefragt, ob’s dir passt.“
    „Stimmt“, gibt Carlotta zu. Sie zieht die Nase hoch und schnieft. „Aber da durfte ich mir wenigstens aussuchen, bei wem ich wohnen will. Bei Papa nämlich. Und trotzdem schickt er mich jetzt weg. Das ist doch nicht fair!“
    „Nee“, sagt Katie und schüttelt betrübt den Kopf. „Das ist kein bisschen fair.“
    Sie wirft Carlotta noch ein paar Gummibärchen zu, bevor die Tüte leer ist. Carlotta setzt die Bärchen nebeneinander auf ihren Schreibtisch und nimmt ihre kleine Digitalkamera aus dem Regal darüber.
    „Du und deine Gummibärchenfotos“, grinst Katie. „Willst du nicht mal was anderes knipsen? Mich zum Beispiel?“ Sie zupft ihre Haare zurecht und macht eine alberne Pose.
    Carlotta schüttelt den Kopf und nimmt die Bärchenfamilie auf dem Schreibtisch ins Visier.
    „Ich knipse nicht, ich fotografiere“, betont sie und drückt auf den Auslöser. „Aber davon verstehst du natürlich nichts.“
    „Nö“, kichert Katie und betrachtet die Fotos, die über Carlottas Schreibtisch hängen. Sie zeigen Gummibärchen in allen Lebenslagen: in
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