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Internat auf Probe

Internat auf Probe

Titel: Internat auf Probe
Autoren: Dagmar Hoßfeld
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dass sie sich überhaupt nicht konzentrieren kann. Jedenfalls nicht, solange sie mit einer Hand die Buchseiten umblättern und mit der anderen gleichzeitig den Buggy schaukeln muss. Lennart und Lorenz machen ein Theater, als hätte sie jemand verhauen. Unmöglich!
    Carlotta schaut auf, als zwei alte Damen vorbeigehen. Sie haben sich für ihren Parkbesuch extra fein angezogen, tragen duftige Seidenblusen und dezent gemusterte Faltenröcke.
    Eigentlich sehen sie ganz niedlich aus, findet Carlotta, aber dann bleiben die beiden genau vor ihr stehen, mustern zuerst die Zwillinge, dann Carlotta und schütteln missbilligend die Köpfe.
    Carlotta runzelt die Stirn und versucht ein möglichst gelangweiltes Gesicht zu machen. Dazu steckt sie ihre Nase ganz tief in das Buch und schuckelt den Buggy so lässig, als würde sie das Gebrüll der Zwillinge kein bisschen stören.
    Langsam gehen die alten Damen weiter und tuscheln leise miteinander.
    „Olle Schachteln“, brummt Carlotta. Sie pustet sich eine Haarsträhne aus der Stirn und zischt ihren Brüdern zu: „Wenn ihr nicht endlich still seid, versteigere ich euch bei Ebay. Die Leute gucken schon. Ist ja peinlich!“
    Lennart und Lorenz starren sie an und halten kurz inne. Eine knappe Millisekunde später probieren sie eine noch höhere Tonlage aus.
    Genervt wirft Carlotta ihr Buch auf die Bank und hält sich die Ohren zu.
    Es ist Sommer, die Sonne scheint, und während ihre Freundinnen das Wochenende zu Hause, im Freibad oder sonst wo verbringen und sich amüsieren, hockt sie zwischen enkellosen Omas in einem öden Park und spielt Kindermädchen für ihre Brüder. Dabei sind Lennart und Lorenz noch nicht mal ihre richtigen Brüder, sondern nur ihre Stiefbrüder. „Halbbrüder“, wie Mama betont.
    Brüder, Stiefbrüder, Halbbrüder – die Worte purzeln in ihrem Kopf durcheinander und bilden ein dickes Knäuel. Ganz langsam rutscht das Knäuel tiefer, schiebt sich in ihren Hals und bleibt dort stecken. Als Carlotta schluckt, plumpst es in ihren Magen, wo es wie ein Stein liegen bleibt.
    Seit Mama und Papa sich getrennt haben, hat Carlotta ziemlich oft so einen Stein im Magen. Überhaupt ist alles ganz schön kompliziert, findet sie, besonders seit Mama sich einen neuen Mann zugelegt und kurz darauf die Zwillinge bekommen hat.
    Manchmal weiß Carlotta gar nicht mehr, wo sie eigentlich hingehört: zu Mama oder zu Papa. Klar, sie lebt bei Papa, und Mama hat eine neue Familie, aber trotzdem …
    Sie seufzt. Vorher, als sie und Mama und Papa noch eine richtige Familie waren und zusammengelebt haben, war alles viel schöner. Und einfacher.
    Sie schluckt noch einmal und nimmt die Hände von den Ohren. Die Zwillinge haben aufgehört zu brüllen.
    „Möchtet ihr einen Keks? Oder was zu trinken?“
    „Teks“, schnieft Lorenz.
    „Baft.“ Lennart streckt ihr eine verschwitzte Pfote entgegen.
    „Okay.“ Carlotta wühlt in ihrem Rucksack, um das Gewünschte ans Tageslicht zu befördern. Lorenz bekommt einen Butterkeks in die Hand, seinem Bruder reicht sie das Fläschchen. „Wenn ihr nicht gerade brüllt, seid ihr eigentlich ganz süß“, bemerkt sie lächelnd.
    Lennart gluckst leise und lässt vier kleine Schneidezähne aufblitzen. Lorenz zerkrümelt konzentriert seinen Keks.
    „Wollen wir noch eine Runde drehen und dann wieder nach Hause? Mama ist bestimmt schon aus der Stadt zurück.“ Carlotta verspürt keine Lust, ihrer Mutter erklären zu müssen, woher die Kleinen ihre verschwitzten Haare und die hektischen roten Flecken auf den Wangen haben. Günstiger wäre es, mit zwei gut gelaunten Babys zurückzukehren. Eine zusätzliche Entspannungsrunde durch den Park könnte also nicht schaden. Sie stopft ihr Buch in den Rucksack zurück, gibt Lorenz noch einen Keks zum Zerkrümeln und schiebt den Buggy an den alten Damen vorbei.
    „Was für süße Babys“, flötet die eine. „Sind das deine kleinen Brüder?“
    „Nicht direkt.“ Carlotta schenkt der Dame ein zuckersüßes Lächeln. „Aber man kann sie mieten, stundenweise. Sind auch gar nicht teuer. Wir stehen im Telefonbuch unter Prinz-Mohr. Schönen guten Tag noch.“
    Die Frauen starren ihr mit offenen Mündern sprachlos hinterher. Bevor sie noch etwas sagen können, schiebt Carlotta den Buggy im Laufschritt um die nächste Ecke und prustet laut los.
    Lennart und Lorenz gucken sie verdutzt an, dann quietschen sie fröhlich mit.
    Ein paar Minuten später macht Carlottas Mutter ihnen die Haustür auf. „Na, hattet ihr es
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