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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus
Autoren: Martha Grimes
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Uhr und stand auf. «Wenn Sie nach London kommen, Mr. Trueblood, würde ich mich über Ihren Besuch freuen.»
    «Die Gelegenheit werde ich nicht verpassen, mein Lieber!»

    In der Anlage stand eine Bank, und da es die ganze Nacht über geschneit hatte, war der Platz wieder eine einzige glitzernde, weiße Fläche. Jury setzte sich und starrte auf die Enten; dann starrte er auf den dunklen Stein, aus dem das Haus der Rivingtons gebaut war. Er sollte wie versprochen, hinübergehen. Aber er blieb einfach sitzen. Schließlich sah er, wie die Haustür aufging und eine weibliche Gestalt in Schal und Mantel herauskam. Sie hinterließ auf der glatten, weißen Fläche eine Reihe ordentlicher Spuren, während sie auf ihn zustapfte.
    Als sie an dem Teich angelangt war, stand er auf. «Ich dachte, Sie wollten gegen elf vorbeikommen», sagte sie lächelnd. «Ich hielt nach Ihnen Ausschau und sah dann jemanden auf dieser Bank sitzen. Ich fragte mich, ob Sie das vielleicht seien.» Als Jury nicht antwortete, fuhr sie fort: «Vor allem möchte ich mich bei Ihnen bedanken.»
    Seine Lippen waren steif vor Kälte. Aber schließlich brachte er doch etwas hervor. «Ich hoffe, diese Enthüllung hat Sie nicht allzusehr … deprimiert, Miss Rivington.»
    Ihre Augen wanderten über sein Gesicht. «Deprimiert. Eine glückliche Wortwahl. Nein, nicht wirklich. Ich war nur schockiert. Anscheinend habe ich mich mit Leuten umgeben, denen ich nicht trauen konnte.» Sie verschränkte die Arme über der Brust, um sich warm zu halten, und die Spitze ihres Überschuhs schob den Schnee zurück. «Isabel hat mir die Wahrheit gesagt: über den Unfall, den mein Vater hatte.» Sie blickte zu ihm hoch, aber Jury äußerte sich nicht dazu. «Sie sagte, die Sache hätte ihr auf dem Gewissen gelegen. Was ich bezweifle. Warum sollte sie nach all den Jahren plötzlich Gewissensbisse bekommen … Sie waren ihr Gewissen, stimmt’s?» Vivian lächelte. Jury starrte auf den Schnee, als würden plötzlich wie auf einem Foto im Entwicklungsbad Gänseblümchen aus ihm hervorsprießen. Als er nicht antwortete, sagte sie: «Etwas müssen Sie mir jedoch noch sagen.»
    «Und was?» Seine Stimme kam ihm selbst sehr komisch vor.
    «Simon und Isabel?» Sie hatte die Hände in den Taschen ihres Mantels vergraben und den Kopf so tief gesenkt, daß er nur ihre gestrickte Mütze sehen konnte. «Hatten sie ein Verhältnis?» Sie hob den Kopf und blickte ihm ins Gesicht. «Hatten sie vor, mich unauffällig um die Ecke zu bringen und sich dann mit der Beute aus dem Staub zu machen?»
    Sie lächelte immer noch, aber der Schmerz in ihren Augen versetzte ihm einen Stich. Jury war überzeugt, daß das Matchetts Plan gewesen war. Er hatte Isabel gebraucht, um an Vivian ranzukommen. Daß ihr Verlobter und ihre Schwester sich hinter ihrem Rücken vergnügt und über sie gelacht hatten – diese Vorstellung mußte sie wohl verfolgt haben.
    «War es so?» fragte sie.
    «Nein. Sie – und das Geld – hätten Matchett wohl genügt.»
    Vivian stieß die Luft aus, als hätte sie lange Zeit den Atem angehalten. «Ich weiß auch nicht, warum mich das immer noch beschäftigt, wo sich das Ganze doch sowieso erledigt hat. Es ging mir einfach nicht aus dem Kopf.» Sie seufzte. «Ich sollte das vielleicht nicht sagen, aber irgendwie bin ich froh, daß es so gekommen ist, ich meine, daß ich ihn nicht zu heiraten brauche.»
    «Wer hätte Sie denn dazu gezwungen! Niemand.»
    «Ja, ich weiß.»
    «Er wäre sowieso nicht der Richtige für Sie gewesen.» Jury blickte zu den Wolken hoch, die über den wasserblauen Winterhimmel trieben. «Nicht Ihr Typ.» Er stand einfach nur da und überließ es dem lieben Gott, die Dinge in Ordnung zu bringen.
    «Was ist denn mein Typ?»
    «Oh, vielleicht jemand mit einem größeren Reflexionsvermögen.»
    Sie schwieg. Dann fragte sie, «Wie hieß dieser Satz, den Sie zitiert haben, Agnosco …?»
    «Oh … Agnosco veteris vestigia flammae : Ich erkenne die Spuren einer alten Flamme.»
    «Sehr eindrucksvoll.»
    «Wer? Aeneas?»
    «Nein, die alte Flamme. Nicht einmal Aeneas konnte über sie triumphieren.»
    «Vielleicht doch.»
    «Ich bin mir da nicht sicher.» Sie starrte auch in den blauen Himmel. «Ich glaube, ich ziehe nach Frankreich oder besser noch nach Italien.»
    Oder auf den Mars.
    Einen Augenblick lang blieb sie noch bei ihm stehen und blickte ihn an, dann wandte sie sich um. «Leben Sie wohl. Und vielen Dank. Manchmal sind Worte doch sehr unzulänglich.» Ihre
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