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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus
Autoren: Martha Grimes
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daß er sich elegant über die Schultern geworfen hatte, war auf der einen Seite heruntergerutscht, und er zog es wieder hoch. «Jury, auch wenn ich nicht alles gutheißen kann, was Sie getan haben, so ist die Sache doch zu einem guten Ende gekommen, und ich meinerseits möchte Ihnen auch keine Vorwürfe machen. Ich hab Sie nie für einen schlechten Mann gehalten, obwohl Sie sich für meinen Geschmack einer zu großen Beliebtheit erfreuen. Ich meine, Ihre Beliebtheit bei Ihren Untergebenen – dieses verdammte Kumpel hier und Kumpel da. Die Leute sollen Sie respektieren, Jury, nicht ins Herz schließen. Es ist aber nicht nur das. Sie ignorieren grundsätzlich alles, was man Ihnen aufträgt. Sie hätten sich jeden Tag melden und mich auf dem laufenden halten sollen, und das haben Sie nicht getan. So werden Sie nie Kriminaldirektor, Jury. Sie müssen lernen, wie Sie mit den Männern über Ihnen und den Jungs unter Ihnen umzugehen haben.»
    Jury hatte das Gefühl, in einem schlechten amerikanischen Kriegsfilm zu sein.
    «Na schön, ich verabschiede mich jetzt. Sie können hier reinen Tisch machen.» Racer warf eine Handvoll Kleingeld auf den Tisch – knickrig war er nicht, das mußte man ihm lassen – und blickte sich um. «Gar nicht so schlecht für dieses Kaff. Das Essen gestern war auch sehr anständig. Man muß es jemandem schon hoch anrechnen, wenn er sein eigenes Bier braut …»
    Wenn nur Jack the Ripper sein eigenes Bier gebraut hätte, dachte Jury und strich sich etwas Butter auf eine Scheibe kalten Toasts.
    «Was gibt es, Wiggins?» zischte Racer.
    Wachtmeister Wiggins war wie ein Gummiball an ihrem Tisch aufgetaucht. «Wachtmeister Pluck hat den Wagen vorgefahren, Sir.»
    «Gut.» Als Wiggins wieder kehrtmachen wollte, rief ihn Racer zurück. «Wachtmeister, den Ton von heute morgen möchte ich mir verbitten.»
    Jury wurde allmählich ungeduldig. «Wiggins hat mir sozusagen das Leben gerettet.» Als Racer fragend die Augenbrauen hochzog, fuhr Jury fort: «Sie kennen doch bestimmt die Geschichte von dem Soldaten, der mit dem Leben davonkam, weil seine alte Mutter darauf bestanden hatte, daß er die Bibel in seiner Brusttasche trug?» Jury warf die Schachtel mit den Hustenbonbons auf den Tisch.
    «Und was zum Teufel hat das verhindert?» fragte Racer und schubste die Schachtel wie eine tote Maus mit spitzen Fingern von sich.
    «Das und eine Schleuder haben mir das Leben gerettet.» Jury trank seinen Kaffee aus und beschloß, die Sache noch etwas auszuschmücken. «Wiggins wußte, daß ich keine Pistole bei mir hatte. Meiner Meinung nach hat er erstaunliche Geistesgegenwärtigkeit bewiesen.»
    Wiggins, dem dieses unerwartete und (wie er vermutete) unverdiente Lob in der Seele guttat, strahlte und warf Jury gleichzeitig einen fragenden Blick zu. Er schien sich nicht sicher zu sein, wie er diese verschlüsselte Botschaft, die Jury gerade seinem Vorgesetzten übermittelt hatte, interpretieren sollte.
    Racer blickte von dem einen zum andern und grunzte. Dann sagte er mit honigsüßer, vor Bosheit triefender Stimme: «Wenn Sie nichts dagegen haben, Inspektor, dann lassen wir es besser nicht an die Öffentlichkeit dringen, daß Scotland Yard nur Kinderschleudern zu seiner Verteidigung mit sich führt.»

    Jury, der seinen Abschied von Vivian so lange wie möglich hinausschieben wollte, ging auf dem Polizeirevier von Long Piddleton irgendwelche Papiere durch und hörte zu, wie Pluck und Wiggins sich stritten. Pluck, der die Vorzüge des Landlebens verteidigte, blätterte gerade die Times nach Vergewaltigungen, Überfällen und Morden in dunklen Londoner Gassen durch, als die Tür wie von Geisterhand aufging und Lady Ardry hereingerauscht kam, gefolgt von Melrose, der sich entschuldigend umschaute. Pluck und Wiggins tauschten einen kurzen Blick und verzogen sich dann mit Tee und Zeitungen in den Vorraum.
    Lady Ardrys Hand schnellte wie ein Schnappmesser hervor und schüttelte Jurys. «Wir haben’s geschafft, Inspektor Jury, wir haben’s geschafft!» In ihrem Siegestaumel hatte sie sogar ihren alten Groll gegen Jury vergessen.
    « Wir , liebe Tante?» fragte Melrose und nahm in dem Sessel in der Ecke Platz, so daß er etwas hinter ihr im Dunkeln saß. Er zündete sich eine Zigarre mit einem besonders betörenden Aroma an.
    Jury lächelte. «Ist ja nicht so wichtig, wer es war, Lady Ardry, Hauptsache, die Sache hat ein Ende.»
    «Ich wollte Sie eigentlich zum Lunch einladen, Inspektor; unterwegs traf ich dann
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