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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis
Autoren: Martha Grimes
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Wahrscheinlich sind es Überbleibsel von einer anderen Krippe.» Jury merkte, daß seine Bemühungen, die Krippe Chrissies Wünschen gemäß zu vervollständigen, nicht sehr erfolgreich gewesen waren. Er lächelte. «Ist ja auch nicht einfach, einen Weisen aufzustöbern …»
    Chrissie strich Alices Kleid glatt. «Das kann ich mir denken. Ist ja auch sehr nett von Ihnen.» Das klang grimmig. «Nur … das Jesuskind hat keine Windeln an.» Inmitten des allgemeinen Lärms – der aus voller Kehle gesungenen Weihnachtslieder und gebrüllten Bestellungen – war die friedliche Krippenszene eine kleine Oase der Ruhe. «Glauben Sie, Maria und Joseph hat es was ausgemacht, daß es nicht drin lag?»
    «Bestimmt. Aber jetzt ist es ja wieder da. Und das ist die Hauptsache.»
    Ihrem schmalen Brustkorb entrang sich ein tiefer, resignierter Seufzer. «Na, dann muß ich ihm wohl oder übel ein paar Windeln besorgen.»
    Melrose und Tommy hatten sich an den Tresen vorgedrängt und standen nun eingeklemmt zwischen Nutter und einem Fremden mit langen dunklen Ringellocken und einem Ohrring – also ganz offensichtlich nicht Nutters Typ. Hätten Tommy und Melrose sich nicht dazwischengedrängelt, so hätte sich die knisternde Spannung in der Luft wohl bald auf dramatische Weise entladen.
    Tommy brüllte Hornsby ihre Bestellung zu und grinste dabei Dickie an, dessen riesige Lauchstange festlich mit einer roten Schleife geschmückt war. Dickie grinste und machte eine Bemerkung, die im allgemeinen Radau unterging. Der Raum war voller Leute: Stammgäste, Laufkundschaft und auch der eine oder andere, der nur zum Weihnachtenfeiern im «Jerusalem Inn» aufgetaucht war.
    Der dunkelhaarige Fremde neben Melrose trug ein graues Hemd und eine schwarze Weste, rauchte eine Zigarette und trank ein Lager. Er sah Tommy irgendwie ähnlich – so mochte Tommy in zwanzig Jahren aussehen. Er nickte Melrose freundlich zu, und Melrose nickte zurück.
    «Viel los hier, was», sagte der Fremde und strich sich das lockige schwarze Haar aus der hohen Stirn.
    «Kann man wohl sagen. Wollen Sie was trinken?»
    «Ja, warum nicht. Vielen Dank.» Er schob sein Glas über den Tresen und deutete mit der Zigarette auf den Oboenkasten, den Tommy an den Tresen gelehnt hatte. «Was ist denn da drin? Du hältst ihn ja fest, als würde gleich der Teufel persönlich über den Tresen springen und ihn dir wegnehmen.»
    «Das? Da ist nur mein Queue drin.» Tommy sah sich den Mann etwas genauer an. «Sie waren schon mal hier, stimmt’s?»
    «Nein, liegt nicht gerade auf meinem Weg.» Der Mann lachte. «Spielst du Pool? Ich hätte nichts gegen eine Partie.»
    «Snooker.»
    «Okay, warum nicht. Ist mir gleich.» Der Fremde streckte die Hand aus. «Ich heiße Alex. Du bist also dabei?»
    Tommy, dem nie etwas aus der Hand fiel, ließ seinen Queuekästen auf den Boden fallen und bückte sich schnell danach. Er schüttelte den Kopf.
    Nutter, der ungern unbeachtet blieb, versetzte Tommy einen Rippenstoß. «Mach schon, Junge, zeig’s ihm. Wir wollen hier keine Fremden, die das große Wort führen.» Er schob sich näher an Alex heran und war sichtlich irritiert, daß dieser einfach stehenblieb und sein Bier trank.
    «Nein, danke, keine Lust», sagte Tommy und verdrückte sich mit dem Glas in der Hand und den Kasten gegen die Brust gepreßt in der Menge. Zum erstenmal, dachte Jury, sieht er wie ein Sechzehnjähriger aus, ein bißchen schüchtern und einsam.
    «Will sonst vielleicht jemand? Sagen wir einen Fünfziger das Spiel?» bot Alex an.
    Von einem Moment zum anderen war Nutters Feindseligkeit verschwunden – er witterte ein gutes Geschäft. «Clive. Für fünfzig Mäuse läßt er sich vielleicht überreden.»
    Alex lächelte. «Na schön. Ihr macht aber nicht den Eindruck, als würdet ihr die fünfzig Kröten zusammenbringen, nicht mal, wenn ihr alle zusammenlegt.»
    Dickie begann schon in seinen Taschen zu kramen, da zog Melrose gelassen seine Geldklammer hervor. «Dickie soll die Börse verwalten.» Er drückte Dickie ein paar Scheine in die Hand.
    Clive lachte. «Wer sie verwaltet, ist mir völlig gleichgültig, solange ich sie nur hinterher bekomme.»
    Clive bekam gar nichts.
    Clive kam kaum an den Tisch heran.
    Es gelang ihm lediglich, den Pulk der roten Kugeln so ungeschickt zu sprengen, daß Alex 81 Punkte in Folge machen konnte und eine Viertelstunde später den Tisch abgeräumt hatte.
    Clive starrte gebannt auf den leeren Tisch. Das konnte doch nicht wahr sein?
    Melroses
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