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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis
Autoren: Martha Grimes
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dagegen zu haben, daß Melrose Plant ihnen auf einen Wink von Jury hin in Seainghams Arbeitszimmer folgte. Sie schien vielmehr an einem Punkt angelangt, an dem ihr alles gleichgültig geworden war.
    Melrose ärgerte sich, weil er so dumm gewesen war und sie nie richtig ernst genommen hatte. Es mußte wohl an Agathas erfolgreichen Verbrüderungsversuchen mit «Betsy» liegen, daß die beiden für Melrose gleichsam eine Einheit bildeten – zwei wackere alte Damen mit Stickrahmen und Spielkarten, die sich über nichts als den englischen Adel unterhielten.
    Er musterte sie eingehend; sie stand vor dem Kamin und lehnte es rigoros ab, sich zu setzen. In ihrer Jugend war sie bestimmt eine Schönheit gewesen. Mit ihren feinen Zügen und ihrem klaren Teint war sie das in gewissem Sinne immer noch. Die streng um den Kopf geflochtenen grauen Haare glänzten, als wären sie stundenlang gebürstet worden; die grauen Augen leuchteten ebenfalls in einem beinahe metallischen Schimmer, den das graue Spitzensatinkleid noch betonte. Wenn sie sich nicht in Agathas Gesellschaft befand, hatte sie bislang den Eindruck einer warmherzigen, mütterlichen Frau auf ihn gemacht; jetzt spürte er auch die Kälte, die von ihr ausging. Sie erinnerte ihn an eine Gedenkmünze, die für ungültig erklärt und aus dem Verkehr gezogen wurde, als man Mängel entdeckte.
    «Das war eine interessante kleine Scharade, Superintendent», sagte sie mit sanfter Ironie, als ginge es für sie nicht um alles oder nichts, als sähe nicht auch sie das Buch, das Plant Jury gezeigt hatte, aufgeschlagen auf dem Tisch liegen. Sie würdigte es keines Blickes. «Mein Glück, daß Susan Assington soviel vom Gärtnern versteht», sagte sie zu Melrose gewandt. «Aber Sie haben mich ganz schön nervös gemacht mit ihrem Exkurs über Christrosen, Mr. Plant. Diese Pflanzen gehören, wie Sie sicher wissen, zu derselben Familie der Hahnenfußgewächse wie der Eisenhut. Sie sind der Sache schon gefährlich nahe gekommen.»
    «Ich weiß nicht, ob im Augenblick Komplimente angebracht sind, Lady St. Leger», sagte Melrose, «aber Sie haben sich sehr elegant aus der Affäre gezogen, indem Sie mein Augenmerk auf Lady Assington lenkten.»
    Elizabeth St. Leger zuckte die Achseln. «Alle Achtung vor der Guten, sie hat Sie ja ganz schön abblitzen lassen.»
    Jury entfaltete sein Taschentuch. «Nun gut. Fangen wir doch hiermit an. Ricinus communis. Man braucht nur auf eine einzige Rizinusbohne zu beißen, um einen anaphylaktischen Schock zu bekommen. Das Zeug hat es in sich. Sie sind heute abend ein ziemliches Risiko eingegangen, als Sie versuchten, Grace Seaingham umzubringen.»
    «Not macht eben erfinderisch, Mr. Jury. Sie verstehen das, nicht wahr?»
    «Grace Seaingham gehört doch zu denen, die lieber sterben als ein Geheimnis preiszugeben. Sie hätte nie jemandem etwas erzählt …»
    «Aber sie wußte schon lange Bescheid. Irene, die geschwätzige Nudel, muß es ihr einmal erzählt haben. Sie war immer eine Gefahr mit ihrem religiösen Dünkel, finde ich. Und heute abend plante sie offensichtlich etwas. Sie hat Sie hierher zitiert. Und aus irgendeinem Grund hatte sie plötzlich keine Angst mehr, zu essen und zu trinken. Richtig aufgeblüht war sie. Entschuldigen Sie bitte dieses makabre Wortspiel – bei all der Pflanzenkunde …»
    «Und da nur sie Sambuca mit Kaffeebohnen trinkt, haben Sie die Bohnen ausgewechselt, als Sie Ihre Medizin holen gingen. Sie haben sie einfach auf den Teller gelegt, der auf dem Tablett bereitstand. Dachten sie denn nicht daran, daß Grace vielleicht schon mit mir darüber gesprochen haben könnte?»
    «Diese Möglichkeit bestand natürlich. Aber ich hielt es für unwahrscheinlich. Allerdings dachte ich, daß sie es im Verlauf des Abends noch tun würde.»
    «Und woher haben Sie die Rizinusbohnen?»
    «Sie kommen sehr häufig vor, in allen möglichen Größen und Formen.»
    Das hörte sich an, als spräche sie von Konfektionskleidung.
    «Manche sind gesprenkelt, manche grau. Die meisten kann man eigentlich gar nicht mit Kaffeebohnen verwechseln. Aber die aus dem Garten von Meares waren zufällig von der kleinen, dunklen Sorte. Wie sie schmecken, kann ich Ihnen leider nicht sagen», fügte sie sarkastisch hinzu. «Ich weiß nur, daß man sie kauen muß. Schluckt man sie ganz, passiert seltsamerweise gar nichts. Aber Grace mochte den Geschmack von Kaffeebohnen.»
    «Schade, daß Beatrice Sleight keinen Sambuca trank!»
    Elizabeth St. Leger funkelte ihn
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