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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis
Autoren: Martha Grimes
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einen italienischen Adelstitel.
    Die anderen hatten sich ebenfalls in Schale geworfen, um Heiligabend zu feiern: Lady St. Leger war ganz in Spitze gehüllt, Lady Ardry in ein nicht näher definierbares Gewebe; Susan Assington fummelte am losen Saum eines hauchdünnen braunen Stoffes herum, dessen Farbe Melrose an ein verdorrtes Getreidefeld erinnerte. Um so kräftiger leuchteten die frischen Frühlingsfarben von Grace Seainghams Kleid. Ja, wirklich: Susan schien in dem Maße zu welken, wie Grace erblühte.
    Diese Nachricht bewirkte eine Veränderung in der Haltung und den Mienen der Anwesenden, als wären sie der Aufforderung eines imaginären Fotografen gefolgt, sich neu zu gruppieren. MacQuade sah neugierig drein, Parmenger gelangweilt. Tommy starrte gebannt die solchermaßen verwandelte Grace an.
    Charles Seaingham war offensichtlich verärgert. «Davon hast du mir ja gar nichts erzählt, mein Liebes.»
    «Nein, ich hab’s nur dem Koch erzählt», sagte Grace liebenswürdig. Sie lächelte ihm zu, als wollte sie betonen, daß in diesem Falle nur einer den Vorrang hatte haben können. Grace trug ein teerosenfarbenes Kleid, das ihr in weichen Falten um den Körper fiel und Parmenger zu begeisterten Komplimenten hinriß – wie sehr es ihrem Teint schmeichelte und die Farbe ihres Haars zur Geltung brachte –, und er ging um sie herum, als wollte er ihr Porträt auf der Stelle neu malen. Grace dankte ihm, bemerkte, daß der Ton ihres Kleids zu dem der Christrosen paßte, nahm eine aus der flachen Kristallschale und steckte sie sich an den Ausschnitt. Sie schenkte Susan Assington ein strahlendes Lächeln. Susan wandte schnell den Blick ab.
    Von allen Anwesenden schien Grace Seaingham die einzige zu sein, die völlig gelassen war, einmal abgesehen von Frederick Parmenger und den Damen St. Leger und Ardry. Letztere flankierten mit ihren Stickrahmen den Kamin wie zwei unverrückbare Felsen.
    Melroses Vermutung, daß Grace etwas im Schilde führte, hatte sich zur Gewißheit verdichtet, als sie auf das wiederholte Sie sehen so viel besser aus, meine liebe Grace antwortete: «Ich fühle mich auch sehr viel besser. Wahrscheinlich verdanke ich das diesem wundervollen Lunch, den ich heute mittag mit Superintendent Jury in Durham eingenommen habe.»
    Dieser «wundervolle Lunch» wurde nun mit allem Drumherum, dem Auflauf sowie den eingelegten Pilzen, in den schillerndsten Farben beschrieben. Melrose bemerkte, daß diese einseitige Konversation bei den Gästen Unbehagen auslöste. Die Gläser mußten häufiger als sonst nachgefüllt werden. Bei dieser erlesenen Gesellschaft war das etwa so wie ein Ölwechsel bei einem Rolls-Royce.
    «Wie dem auch sei, meine Liebe», bemerkte Charles, «ich glaube, daß wir alle der Polizei reichlich überdrüssig sind. Diese Bürokraten schwirren noch immer mit ihren verdammten Laternen und Taschenlampen in der Gegend herum. Ich habe sie nun lange genug ertragen und möchte mich nicht auch noch mit einem von ihnen an einen Tisch setzen müssen.»
    Als Marchbanks die große Doppeltür aufschob, erhob Grace sich lächelnd und meinte: «Sich an einen Tisch zu setzen, scheint mir in diesem Haus unproblematisch zu sein. Wieder aufzustehen schon eher. Gehen wir hinein!»
     
     
    Es war schon beschämend genug, sich in einem durch einen großen Fleck verunzierten Kleid an die festliche Tafel setzen zu müssen. Daß aber Superintendent Jury auch noch ihr Tischherr war, brachte Vivian Rivington fast zur Verzweiflung. Jury war nach einer vorzüglichen Consommé mit Verspätung erschienen, und den Blicken der Anwesenden nach zu urteilen, waren sie offenbar einhellig der Meinung, daß ihnen das Dinner ohne Jury weitaus besser bekommen wäre.
    Jury trug es mit Fassung. Er entschuldigte sich, auf dem Revier der Polizei von Northumbria aufgehalten worden zu sein, widmete sich ausgiebig dem exzellenten warmen Austernsalat in Weinschaum und äußerte sich beifällig über die köstliche Champagnersoße und den Chardonnay. Danach gab es Lammrücken, und Jurys und Graces amüsiertes Geplänkels über die Schwierigkeit, im Dezember ein Frühlingslamm zu finden, beherrschte das Tischgespräch.
    Überhaupt schien Grace Seaingham und Richard Jury die Zeit nicht lang zu werden, während sie sich ausführlich über Essen, Trinken, Fisch und Wildbret verbreiteten: über den Lachs in Pitlochary und die diesjährige Fasanenjagd, die eher enttäuschend ausgefallen war; über den St. Emilion im Vergleich zu dem Chardonnay,
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