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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis
Autoren: Martha Grimes
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sollten. Da die Gräfin aber eiserne Nerven und versiegelte Lippen besaß, wenn es um Schlafzimmergeschichten ging, entschied das Gericht, daß entweder der Graf der Vater des Kindes sei oder es sich um eine unbefleckte Empfängnis gehandelt haben müsse.» Melrose warf seine Zigarre in den Kamin und legte einen Arm auf den Sims. «Wie Sie sehen, alter Knabe, muß man absolut lupenrein und aus dem echten Holz geschnitzt sein, sonst läßt sich da nichts machen.» Um seine Lippen zuckte ein Lächeln. «Können Sie sich vorstellen, daß jemand einen Namen so durch den Dreck zieht, noch dazu, wenn es sich um die eigene Familie handelt? Ich nicht.»
    Jury sah ihn nachdenklich an. «Nein. Wahrscheinlich läuft es eher umgekehrt, stimmt’s? Wenn’s mal zu einem Ehebruch kommt, wird die Familie dichthalten.»
    «Ja, so ist es.» Plant setzte sich wieder und schenkte sich einen neuen Drink ein. «Ich glaube, wir sind dabei, uns zu besaufen.»
    «Das glaube ich auch.»
    Plant schaute auf seine Uhr. «Wir sollten im Pub weiterzechen, ich muß da noch was erledigen …»
    «Was meinen Sie damit?»
    «Nichts. Nichts. Sie rufen Cullen an; ich hole Tommy. Ich glaube nicht», sagte er grinsend, «daß es sehr schwierig sein wird, die Erlaubnis seiner Tante einzuholen, um mit ihm einen letzten Ausflug ins ‹Jerusalem Inn› zu machen.» Melrose hob sein Glas. «Frohes Fest, Superintendent.»
    Sie stießen an; Plants Glas glitt ab, und der Whisky schwappte auf seine Krawatte. «Schlimmer als Vivian.» Er wischte die Tröpfchen weg. «Ich bin gespannt, was dieses Weib – ich meine unsere gute alte Vivian – mit ihrem Graf Dracula zu tun gedenkt.» Er rutschte tiefer in seinen Sessel. «Also Polly Praed …»
    «Sie sind ein Narr, wissen Sie das?»
    Plant runzelte die Stirn. «Was soll das heißen? Ach, was soll’s. Noch mal, frohes Fest!»
    «Frohes Fest, mein Freund.»
    Und wieder stießen sie an.

S IEBTER T EIL
    «J ERUSALEM I NN »

27
    «Ja was haben wir denn hier?» fragte Melrose Plant, als er beim Einsteigen in Jurys Dienstwagen zwei Pakete auf dem Rücksitz entdeckte, ein ziemlich großes und ein etwas kleineres.
    «Weihnachtsgeschenke für die Hornsbys», sagte Jury. «Hab ich heute in Durham gekauft.» Er hörte das Papier rascheln. «Es ist nicht für Sie. Finger weg.»
    Tommy Whittakers Begeisterung, heute abend auch mit von der Partie zu sein, wurde etwas gedämpft durch seine Sorge um Lady St. Leger. «Was ist eigentlich los mit Tante Betsy? Sie sah richtig angegriffen aus, als sie auf ihr Zimmer ging.»
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, bevor Jury antwortete: «Sie ist eine alte Frau, Tommy. Du weißt, daß es mit ihrer Gesundheit nicht zum besten steht. Nach alldem, was vorgefallen ist …»
    «Das wird’s wohl sein. Haben Sie denn inzwischen was rausgefunden? Verdächtigt Sergeant Cullen mich immer noch?»
    «Du gehörst nicht zu den Verdächtigen.»
    Tommy stieß einen erleichterten Seufzer aus.
    «Vielleicht», sagte Jury, «ist es einer von diesen Fällen, die ungelöst bleiben.»
    «Was? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?» Tommy hatte sich noch seinen Kinderglauben an die Allmacht von Scotland Yard bewahrt.
    «Ist alles schon vorgekommen. Im Augenblick interessiert mich aber vor allem, was Mr. Plant mit dem Paket macht», sagte er in Richtung des leisen Rascheins, das vom Rücksitz kam.
     
     
    Das grosse Paket war geöffnet und sein Inhalt, eine im Lauf der Jahre etwas verblichene Figur eines der Weisen aus dem Morgenland, neben die beiden anderen gestellt worden. Das kleinere Geschenk war für Chrissie; es enthielt ein ähnlich verblichenes Jesuskind, das sie liebevoll ins Stroh bettete.
    Chrissie stand mit Alice im Arm vor der um zwei Figuren angewachsenen Krippe. Ihre schmalen Augenbrauen berührten sich beinahe, so kritisch musterte sie die Szene. «Der neue ist aber kleiner als die beiden andern. Und er bringt auch Gold mit, genau wie der da.» Sie deutete auf den Weisen neben Jurys etwas zu klein geratener Figur. «Ich glaube, es ist der gleiche. Und der Mohr fehlt.» Sie warf Jury einen vorwurfsvollen Blick zu, als hätte er nun wirklich besser über die Weihnachtsgeschichte Bescheid wissen können.
    Ohne das Stimmengewirr der zwei Dutzend Jerusalem-Pilger zu beachten, die sich schon seit den späten Nachmittagsstunden in die richtige Stimmung für den Abend brachten, meinte Jury: «Du hast recht. Aber sie hatten nur den. Ich habe ihn und das Jesuskind in einem alten Laden gefunden.
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