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Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)

Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)

Titel: Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
Autoren: Frank Wehrheim , Michael Gösele
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platt
    Es waren immer die Augen. Die Haare konnten brünett sein, oder auch grau. Der Schmuck konnte auffällig blitzen oder fast unsichtbar scheinen. Die Kleidung mochte Aufsehen erregen, oder biederes Mittelmaß verraten, nur die Augen einer Frau, die nach Rache sann, ähnelten sich immer. Leer, kalt und zu allem entschlossen. Es waren diese Augen, die jedem Steuerfahnder im Laufe seines Arbeitslebens immer wieder begegneten, denn sie stehen für das Hauptmotiv vieler Anzeigen bei einer Steuerfahndungsstelle: Rache.
    Wohl alle Finanzbehörden weltweit profitieren von den Rachegedanken enttäuschter Menschen. Ob es nun eine Frau ist, die von ihrem Gatten nach vielen gemeinsamen Jahren durch eine jüngere Gefährtin ersetzt wurde, oder der treu ergebene Buchhalter, der betriebsbedingt seinen Schreibtisch räumen musste und vor dem Arbeitsgericht verloren hatte. Es kann der erboste Nachbar oder der geprellte Geschäftspartner sein – irgendwann stehen diese aus irgendwelchen Gründen enttäuschten Menschen mit diesem zu allem entschlossenen Blick beim Pförtner eines Finanzamtes und fragen mit knappen Worten nach einem Mitarbeiter der Steuerfahndung.
    Unsere Abteilung war in Spitzenzeiten mit bis zu 40 Mitarbeitern besetzt. In alphabetischer Reihenfolge wurde jeder von uns regelmäßig mit dem sogenannten Bereitschaftsdienst betraut. Eine nicht sonderlich beliebte Aufgabe, saß man doch den ganzen Tag an seinem Schreibtisch und musste alle eingehenden Anrufe entgegennehmen. Ob das nun Amtshilfegesuche von Kollegen aus anderen Städten oder Bundesländern waren, die in einem Steuerverfahren kurzfristig ein Frankfurter Bankschließfach versiegeln lassen mussten, – oder eben die Nachricht von der Pforte, dass jemand um ein vertrauliches Gespräch mit der Fahndung ersucht.
    Die Dame, die an einem schönen Frühlingsnachmittag vor meinem Schreibtisch stand, wirkte ruhig und gefasst. Sie war äußerlich sehr gepflegt, Mitte 50 vielleicht, trug eine Kurzhaar-Strähnchen-Frisur, kaum Schmuck, hatte schöne, schlanke Hände und einen kaum vernehmbaren hessischen Akzent in ihrer leisen Stimme. Ein kurzer Blick in ihre eng zusammengekniffenen, gefühllosen Augen ließ mich schnell erraten, welche Art Geschichte sie mir in der folgenden halben Stunde erzählen würde.
    Kurz und knapp umriss die Frau ihren Lebensweg in den vergangenen 35 Jahren. Mit Anfang 20 hatte sie geheiratet, ihr Mann war ein Handwerker im Heizungs- und Sanitärbereich, selbstständig, sie hatten bald zwei mittlerweile erwachsene Kinder, fünf Angestellte und einen gut gehenden Betrieb auf dem Land. Er war der Handwerker und Geschäftsführer, sie erledigte die Buchhaltung – die klassische Gewaltenteilung unzähliger mittelständischer Handwerksfirmen.
    Es kamen, was in solchen Fällen fast immer kommen musste: die menschlichen Abgründe. Der Mann, 58 Jahre alt, geriet offenbar in eine Midlife-Crisis. Es begann mit einem Motorrad, dann kam der Sportwagen und schließlich die 27 Jahre alte Geliebte, die er sinnigerweise auf einem Tennisplatz kennengelernt hatte. Es folgten zwei Jahre Heimlichkeiten, Verdachtsmomente, Beteuerungen und Treueschwüre, bis er schließlich vor wenigen Monaten zwischen Weihnachten und Neujahr seiner Gattin mitgeteilt hatte, dass er ein neues Leben mit seiner Freundin beginnen wolle, und sie – seine langjährige Ehefrau – darin leider keinen Platz mehr hätte.
    »Den mache ich platt«, sagte die Frau ohne jegliche Gefühlsregung. Ohne ihre Hilfe hätte ihr Mann es nie so weit gebracht, erklärte sie weiter. In seinem Handwerk wäre er zwar unumstritten, aber als Geschäftsmann wäre er ein Versager gewesen. Im Grunde hätte er ohne ihre Hilfe nicht einmal eine ordentliche Rechnung schreiben können. Das hatte sie, seine treue Gattin, übernommen. Das – wie auch die vielfältigen Manipulationen. Die Steuerhinterziehungen bezogen sich – wie in so vielen Fällen dieser Art – vornehmlich auf die Betriebsausgaben und natürlich die unzähligen Aufträge, die man ohne Rechnung erledigt hatte.
    Die vordringlichste Frage bei der klassischen Steuerhinterziehung ist schließlich immer: Wie bekomme ich Gelder frei? Am leichtesten funktioniert dies in all den Branchen, in denen Bargeld im Spiel ist. Einzelhandel, Gastronomie und Handwerk. Die Frage »Brauchen Sie eine Rechnung?« lässt nur eine einzige Interpretation zu: Der Kunde spart sich die Mehrwertsteuer und der Unternehmer spielt einen guten Teil seiner Einnahmen am
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