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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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meiner Ansicht nach um eine Art symbolische Aktion«, fuhr Georgia fort, »deren Zugnummer ist: ›Wie lautet unsere zentrale Forderung?‹ Dann bringen wir Tausende von Leuten auf die Straße und gehen nicht mehr weg, bis Obama sie uns gewährt.«
    »Ja, das könnte auch funktionieren.«
    »Na ja«, sagte Colleen, »ich spreche hier zwar wieder mal aus meiner Erfahrung in der Kunstwelt, aber denen geht es um Lesbarkeit. Vom Marketing-Standpunkt aus ist das genau das, worum’s geht: Such dir einen griffigen Slogan, sorg dafür, dass jeder genau weiß, was Sache ist. Aber bei einer sozialen Bewegung? Ob da die volle Lesbarkeit unbedingt eineTugend ist? Ich bin eigentlich nicht hier, um für Veränderungen am gegenwärtigen politischen System einzutreten. Mich interessiert weit mehr die Diskussion darüber, wie sich ein ganz und gar neues schaffen lässt.«
    »Genau«, sagte Georgia. »Für die scheint mir diese Vollversammlung am Dienstag am Bowling Green nichts weiter zu sein als ein Treffpunkt, an dem wir über unser zentrales Anliegen entscheiden sollen. Und die Aktion selbst dient dann lediglich der Durchsetzung dieses Anliegens. Aber ich hab mir gedacht, die Vollversammlung an sich zur Message zu machen. Wie wir das in Griechenland gemacht haben. Und die Idee sich dann ausbreiten zu lassen, bis es in jedem New Yorker Viertel so eine Vollversammlung gibt, in jedem Straßenblock, an jedem Arbeitsplatz, um den Leuten eine Möglichkeit zum Treffen zu geben, wo sie ihre Probleme unabhängig vom Staat selbst lösen können, anstatt das ständig von anderen zu verlangen …«
    »Tja, das ist schon immer auch unser Traum gewesen, hier in der Globalisierungsbewegung. Wir haben das ›Kontaminationismus‹ genannt. Das Ganze basiert sozusagen auf dem Glauben, Demokratie sei ansteckend – ich meine echte, sorry, direkte Demokratie. Und manchmal scheint das fast zu funktionieren. Ich meine, wir haben es geschafft, Leute, die noch keine Aktivisten waren, in Sprecherräte zu bekommen, sie in den Konsensprozess einzugliedern. Die erste Reaktion ist immer dieselbe wie meine, als ich das das erste Mal selbst erlebt habe: Man ist ganz entgeistert, man hätte so was nie für möglich gehalten. Es ändert einfach dein ganzes Gefühl dafür, wie Politik aussehen könnte. Also, das ist der Gedanke dahinter. Jetzt brauchen wir nur noch eine Methode, den ganz normalen Amerikaner mit dieser Idee zu konfrontieren, der Rest geht dann ganz von allein. In gewisser Hinsicht war der ganze Wirbel um WTO und IWF nur ein Vorwand. Oder, okay, kein Vorwand, es ging ja um ernste Probleme, schließlich starben da Menschen … aber das war unsere Lösung, die Neuerfindung der Demokratie. Das Problem war, die Leute zusammenzubekommen. Es ist unglaublich schwer. Oder die Medien dazu zu veranlassen, auch nur mal zu erwähnen, worum es uns eigentlich ging.«
    Wir versprachen einander, uns bei besagter Vollversammlung zu sehen.
    2. August
    Bowling Green ist ein winziger Park an der Südspitze Manhattans, am westlichen Ende der Beaver Street, gerade mal zwei Blocks von der Börse entfernt. Der Name erklärt sich daraus, dass im 17. Jahrhundert die holländischen Siedler dort Boccia oder Boule gespielt hatten. Heute ist es eine umzäunte Grünanlage, an die sich nördlich eine relativ große gepflasterten Spitze anschließt, die wiederum von der Bronzestatue ei nes angriffslustigen Bullen beherrscht wird. Diese Skulptur strahlt eine ungezügelte und potenziell tödliche Begeisterung aus und wird von den Brokern der Wall Street gern als Symbol für die animalischen Instinkte (wie Keynes es genannt hat) wahrgenommen, die die Triebfedern des Kapitalismus sein sollen. Für gewöhnlich ist der Park ein mit ausländischen Touristen durchsetzter Ort der Beschaulichkeit. Straßenverkäufer verhökern dort kleine Replikate des Bullen.
    Als ich gegen 4:30 Uhr hinkam, war ich bereits etwas spät dran für das Meeting, aber diesmal mit Absicht. Ich hatte einen Umweg durch die Wall Street genommen, um ein Gefühl für die Polizeipräsenz zu bekommen. Es war schlimmer, als ich gedacht hatte: Bullen, wohin man sah. Gleich zwei Kolonnen lungerten herum in der Erwartung, etwas zu tun zu bekommen; zwei berittene Einheiten bewachten die Zugangsstraßen; Motorradpolizisten schossen die eisernen Barrikaden entlang, die Selbstmordbomber auf Distanz halten sollen. Und das augenscheinlich an einem gewöhnlichen Dienstagnachmittag!
    Als ich dann am Bowling Green eintraf, fand ich
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