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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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An dem Abend war nur die routinemäßige Einschüchterung angesagt.
    Ich war Georgia nur in Griechenland begegnet, aber sie hatte früher schon fast zehn Jahre lang in New York gelebt und an der Columbia University Kunst studiert. Infolgedessen lamentierten sie und Colleen erst einmal eine halbe Stunde über die Heuchelei der New Yorker Kunstszene und versuchten sich vorzustellen, wie man die zu einem eindeutigen politischen Statement bewegen könnte. Es dauerte jedoch nicht lange, und das Gespräch mündete in die breitere Frage, was es wohl bräuchte, die New Yorker Aktivistenszene aufzurütteln und aus ihrer gegenwärtigen Flaute zu holen.
    »Also, was bei mir von dem Vortrag über Bloombergville vor allem hängen geblieben ist«, meldete ich mich zu Wort, »das ist die Aussage, die Gemäßigten hätten durchaus einige Kürzungen akzeptieren wollen, während die Radikalen Kürzungen grundsätzlich ablehnten. Ich nicke beim Zuhören so vor mich hin, als es mir plötzlich kommt: Augenblick mal! Was erzählt der denn da? Seit wann besteht denn die radikale Position darin, alles beim Alten zu belassen?«
    Ich fing an, mich ziemlich aufzuregen. Die Proteste von Uncut in Eng land , selbst die rund zwanzig Besetzungen durch Studenten, die wir in dem Jahr gehabt hatten, waren in diese Falle getappt! Sie waren teilweise durchaus militant. Die Studenten hatten Mitgliedern der Königsfamilie aufgelauert, das Hauptquartier der Tories demoliert … Sie waren militant, schön, aber sie waren keine Radikalen. Und die Message selbst war womöglich sogar reaktionär: Stoppt die Kürzungen! Geht’s noch? Und dann wieder zurück ins paradiesische 2009? Oder 1979? Oder gar 1959? »Und um ganz ehrlich zu sein, es hat eher was Beunruhigendes, einen Haufen Anarchisten vor Topshop oder H&M Farbbomben über eine Phalanx Bereitschaftspolizei hinweg werfen zu sehen und dabei ›Bezahlt eure Steuern!‹ schreien zu hören.«
    Gab es irgendeine Möglichkeit, aus dieser Falle auszubrechen? Was Georgia anging, so war sie begeistert von einer Kampagne, auf die sie in einer Ausgabe von
Adbusters
aufmerksam geworden war: »Occupy Wall Street«.
    »Ah ja«, sagte ich, »ich glaube, davon hab ich gehört.«
    »Was soll das denn heißen? Du hattest doch einen Artikel im selben Heft!«
    »Tatsächlich? Na ja, es ist nicht so, dass ich die alle von vorne bis hinten lese. Oder … wart mal, das ist doch die Anzeige mit der Ballerinaoder so was in der Art? Mir war nicht klar, zu welcher Art Aktion die da eigentlich aufrufen.«
    »Ja, ich bin mir nicht mal sicher, ob denen das selber klar ist. Meiner Ansicht nach haben die einfach mal was in den Raum gestellt.«
    »Und, siehst du da ein Potenzial? Ich meine, ist ja nicht unbedingt neu. Weißt du eigentlich, wie oft ein paar Aufrechte schon die New Yorker Börse dicht machen wollten? Das ist gar nicht so einfach. Mag sein, dass es in den Achtzigern mal jemand geschafft hat oder in den Neunzigern – jedenfalls für ein, zwei Stunden oder so. Und 2001 dann, da hatten wir den Plan, eine Wall-Street-Aktion auf die Beine zu stellen, im Oktober, gleich nach den Aktionen gegen den IWF in Washington, D.C. Und dann passierte natürlich 9/11, gerade mal ein paar Blocks weiter von hier, da mussten wir natürlich sofort alles kippen. Ich war damals davon ausgegangen, jede Aktion auch nur in der Nähe von Ground Zero wäre auf Jahrzehnte tabu. Meinst du wirklich, da ist mittlerweile genügend Zeit vergangen? Und was genau sollen wir deren Ansicht nach denn dort eigentlich tun?«
    Was keiner so recht sagen konnte. Der Gedanke dahinter schien einfach zu sein: Kommt her und kommet zuhauf! Und dann warten wir mal ab, was passiert.
    »Ist mir eigentlich, ehrlich gesagt, auch egal«, gestand Georgia. »Was mir wirklich ins Auge gesprungen ist, ist ein Hinweis im Netz auf ein Planungsmeeting am Dienstag. Da wird zu einer ›Vollversammlung‹ aufgerufen, was auch immer das sein soll.«
    In Athen, so erklärte sie, hatte so alles angefangen: mit der Besetzung des Syntagma-Platzes vor dem Parlamentsgebäude. Dort war es zu einer echten Volksversammlung gekommen, einer kleinen Agora auf der Basis direktdemokratischer Prinzipien. (Marxisten und Anarchisten rangelten heftig um den adäquaten Begriff: Erstere wollten den Slogan »echte Demokratie« nach dem Vorbild der spanischen Indignados, der Empörten. Letztere bestanden auf »direkte Demokratie«. Eine Abstimmung fiel zu gunsten der Anarchisten aus.)
    »
Adbusters
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