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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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Bündnis von New Yorker Gewerkschaften und Bürgergruppen begonnen, deren Ziel ausdrücklich die Mobilisierung zivilen Ungehorsams gegen Bloombergs drakonische Sparbudgets gewesen war. Was man an sich schon als ungewöhnlich betrachten darf; normalerweise nämlich machen Gewerkschaftsfunktionäre schon bei der bloßen Erwähnung von zivilem Ungehorsam dicht und stellen sich quer. Veteranen vom Global Justice Movement wie ich waren es gewohnt, unsere zunächst so enthusiastischen Verbündeten von der Gewerkschaft wegbrechen zu sehen, kaum dass jemand etwas Radikaleres verschlug, als mit Transparenten demonstrieren zu gehen. Diesmal spielte die Lehrergewerkschaft (United Federation of Teachers), inspiriert zum Teil durch ähnliche Protestcamps in Kairo, Athen und Barcelona, eine aktive Rolle bei der Planung des Camps – bekam aber dann, als man das Lager einzurichten begann, prompt kalte Füße und klinkte sich wieder aus. Nichtsdestoweniger hielt der harte Kern – etwa vierzig, fünfzig Leute, größtenteils Sozialisten oder Anarchisten – von Mitte Juni bis Anfang Juli, drei Wochen lang, durch. Angesichts so kleiner Zahlen und ohne größere Aufmerksamkeit seitens der Medien oder politischen Rückhalt konnte man sich Gesetzesverstöße nicht leisten, aber sich doch immerhin auf eine obskure New Yorker Stadtverordnung stützen, die das Nächtigen auf dem Gehsteig als Form des politischen Protests ausdrücklich erlaubt– vorausgesetzt, man lässt genügend Platz für die Passanten und errichtet keine »Baulichkeit« (wie etwa einen Unterstand oder eben ein Zelt). Natürlich war es ohne Zelt oder irgendeine Art von »Baulichkeit« problematisch, das Ergebnis wirklich als »Camp« zu bezeichnen. Die Organisatoren hatten sich redlich um einen Draht zur Polizei bemüht, aber ihre Verhandlungsposition war, wie gesagt, nicht eben stark, was zur Folge hatte, dass man sich Stück für Stück vom Rathaus abgedrängt sah.
    Der eigentliche Grund, aus dem die Coalition so rasch zerfiel, so erklärte Singsen, sei ein politischer. Die Gewerkschaften sowie die meisten Bürgergruppen kungelten mit Verbündeten im Stadtrat, die ihrerseits mit dem Bürgermeister ein Kompromissbudget auszuhandeln versuchten. »Es zeichneten sich rasch zwei Positionen ab«, sagte er. »Die der Gemäßigten, die bereit waren, die Notwendigkeit einiger Kürzungen zu akzeptieren, und entsprechend glaubten, jede Schadensbegrenzung würde ihre Verhandlungsposition stärken, und die der Radikalen – das Bloombergville-Lager –, die die Notwendigkeit von Kürzungen in Bausch und Bogen verwarfen …« Kaum war ein Deal in Sicht, verflog jede Unter stützung für bürgerlichen Ungehorsam, selbst in seiner mildesten Form.
    Singsens eigene politische Position blieb dabei unklar. Ich war ihm zuvor nie begegnet. Er war keiner dieser Radikalen mittleren Alters, die bei Meetings der Szene fast schon zum Inventar gehörten.
    »Wer ist denn der Typ?«, fragte ich Sabu flüsternd. »Kennst du den eigentlich?«
    »Ach, irgend so’n Trotzkist, glaub ich.«
    »Wie, von der International Socialist Organization?«
    »Ob er bei der ISO ist, weiß ich nicht. Vielleicht. Vielleicht macht er auch nur was mit denen. Scheint mir aber ein ganz netter Kerl zu sein.«

    Hinterher kam es zu einer förmlichen Diskussion, aber was immer bei solchen Meetings wirklich passiert, das passiert eher hinterher in einem feuchtkalten, schummrigen Pub.
    So saßen denn wir – Sabu, Georgia, Colleen, ich und zwei der Studenten, die Bloombergville mit organisiert hatten – hinterher einige Blocks weiter beim Bier und versuchten auszudiskutieren, was von alledem zu halten war. Ich freute mich besonders, Georgia wiedergetroffen zu haben. Das letzte Mal hatten wir uns in Exarchia – dem Anarchistenviertel von Athen – gesehen, wo wir eine Nacht lang bei einem offenbar endlosen Strom von Ouzo in Straßencafés über die radikalen Implikationen von Platons Theorie der Agape oder universellen Liebe debattiert hatten. Unsere Unterhaltung war periodisch durch patrouillierende Sicherheitskräfte unterbrochen worden, die dafür zu sorgen hatten, dass sich da im Viertel niemand zu wohl zu fühlen begann. In Exarchia, so hatte mir Georgiaerklärt, sei das normal. Gelegentlich, vor allem, wenn bei irgendwelchen Zusammenstößen mit Demonstranten ein Polizist verletzt worden war, griffen sie an, suchten sich ein Café aus, verprügelten, wen sie greifen konnten, und demolierten die Cappuccino-Maschinen.
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