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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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natürlich jede internationale Polizei- und Spionagetruppe in Europa oder Amerika beobachtet, um dahinterzukommen, wie man die Gefahr neutralisieren könnte. Das war mit der wesentliche Grund, weshalb sie sich kaum noch um Bin Laden kümmerten. Die sahen in uns gewaltlosen Antikapitalisten eine weit größere Gefahr – was wir, auf lange Sicht, schätze ich mal, auch waren. Aber sie haben dabei eben auch gesehen, dass dezentralisierte Basisdemokratie, gewaltloser ziviler Ungehorsam … na ja, dass solche Sachen eben tatsächlich funktionieren. So sind einige Leute bei der CIA anscheinend zu dem Schluss gekommen, hey, wieso nutzen wir das eigentlich nicht selbst? In etwa so, wie sie in den 80ern die ganze Forschung der 60er und 70er in Sachen Aufstandsbekämpfung eingesetzt haben, also etwa mit ihrem Wissen, wie Guerillaeinheiten funktionieren,eigene Guerillaeinheiten wie zum Beispiel die Contras auf die Beine gestellt haben.
    Also, was ich sagen will: Man hat damit angefangen, diese Techniken regimefeindlichen Aktivistengruppen, beizubringen, die man ohnehin bereits zu unterwandern versuchte: in Serbien, in Georgien, sogar in Venezuela – wo es, nebenbei bemerkt, absolut nichts gebracht hat; typischer Fall von historischer Ironie. Lässt man solche Sachen erst mal auf die Welt los, kann man nicht mehr so recht kontrollieren, bei wem sie landen.«
    US Uncut
    Für mich persönlich war das wichtigste Resultat des Abends die Bekanntschaft mit Marisa. Fünf Jahre zuvor hatte sie, damals noch Studentin, mit einigen Aktivisten einen großartigen – wenn auch letztlich zum Scheitern verurteilten – Versuch unternommen, die Students for a Democratic Society (SDS), eine Aktivistengruppe der 60er, neu zu formieren; die Gruppe hatte 2007 eine entscheidende Rolle bei der Besetzung der New School gespielt. Man spricht heute noch größtenteils von den »SDS-Kids«, wenn von den Organisatoren die Rede ist, aber während die meisten von ihnen sich mittlerweile in 50- oder 60-Stunden-Wochen gefangen sahen, um ihren Studienkredit abzustottern, war Marisa noch immer aktiv, ja, sie schien wenigstens einen Finger in fast jedem lohnenden Projekt zu haben, das in der New Yorker Aktivistenszene noch lief. Marisa war bemerkenswert, einer von den Menschen, die man fast zwangsläufig unterschätzt: klein, zurückhaltend, ja bescheiden im Auftreten, aber dahinter mit einer schier unheimlichen Fähigkeit begabt, auf der Stelle einschätzen zu können, was passiert, was wichtig daran ist und was zu tun ist.
    Als die kleine Versammlung am Hudson sich auflöste, sagte sie zu mir: »Übrigens, morgen gibt’s ein Meeting bei EarthMatters im East Village, da trifft sich so ’ne neue Gruppe, mit der ich arbeite … Sie nennt sich US Uncut. Meinst du, das könnte dich interessieren?«
    »Ach, ist das so was wie UK Uncut?«
    »Na ja, dürfte wohl so ziemlich dasselbe sein. Das ist bestimmt keine Anarchistengruppe oder so was in der Art. Im Grunde sind sie wohl größtenteils irgendwie liberal, denk ich mal. Aber es macht Spaß bei denen!Jede Menge, na ja, weißt du, richtige Leute, keine Aktivistentypen – Hausfrauen mittleren Alters, Postler, Arbeiter … und alle stehen voll auf direkte Aktion.«
    Ich muss zugeben, dass die Idee einen gewissen Reiz hatte. Aktivistengruppen, die im Grunde durchgepauste Versionen von etwas sind, was es bereits in London gibt, haben in New York Tradition. Was nicht eigentlich verkehrt ist, überlegte ich. Und abgesehen davon hatte ich ohnehin nie die Chance gehabt, mit UK Uncut was zu machen, als ich tatsächlich in London war.
    Der Gedanke hinter UK Uncut war ebenso einfach wie brillant. Einer der großen Skandale des neuen Sparpakets der konservativen Regierung war damals ihre Großzügigkeit gegenüber Steuersündern. Während man zur Schließung einer erdrückenden Haushaltslücke lauthals die Notwendigkeit propagierte, die Studiengebühren zu verdreifachen, Jugendzentren zu schließen und die Beihilfen für Rentner und Behinderte zusammenzustreichen, schien man nicht das geringste Interesse daran zu haben, die ungezählten Milliarden an Steuergeldern einzutreiben, die einige der größten Wahlkampfspender aus der Wirtschaft dem Staat schuldig geblieben waren – Einkünfte, nach deren Beitreibung ein Gutteil der Streichungen unnötig gewesen wären. UK Uncut dramatisierte das Problem letztlich mit der Ansage: »Schön, wenn ihr uns die Schulen und Kliniken zumacht, weil ihr das Geld nicht Banken wie der HSBC
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