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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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Zögerns erbot ich mich dazu.
    Es gab dann aber doch keinen großen Grund, sich Sorgen zu machen. US Uncuts Vorstellung von einer »Besetzung« lief darauf hinaus, die anfängliche Verwirrung bei der »Erstürmung« auszunutzen, um in der Lobby der Bank den Vortrag zu halten, und dann, wenn die Polizei aufkreuzen würde, nach einem bisschen Zeitschinderei friedlich wieder zu gehen. Ich fand in den Tiefen meines Schranks etwas, was entfernt nach einer Tweedjacke aussah, und nahm mir die Steuergeschichte der Bank of America vor – also etwa so: »2009 machte die Bank of America 4,4 Milliarden Dollar, bezahlte keinerlei Steuern an den Bund, erhielt aber eine Steuergutschrift von 1,9 Milliarden. Man gab – über den Daumen gepeilt – vier Millionen Dollar für Lobbying aus, Geld, das direkt in die Taschen der Politiker floss, die für die Steuerparagrafen verantwortlich waren, die so etwas möglich machten.« Dann fand ich mich zur Aktion ein, die Marisa als Livestream fürs Internet filmte.
    [Bild vergrößern]
    Standbild aus einem Nation-Video einer US-Uncut-Aktion in einer Filiale der Bank of America im East Village, New York, 30. April 2011
    Als ich im Juli zurückkam, war Marisa eine der Ersten, die ich anrief, und sie klinkte mich in eine andere Aktion von Uncut ein, dieses Mal in Brooklyn. Und dieses Mal sollten wir schneller davonlaufen.
    16 Beaver Street
    Ende Juli war das eigentlich nach wie vor meine einzige Connection zur New Yorker Aktivistenszene.
    Das begann sich erst so richtig zu ändern, als meine Freundin Colleen Asper mich überredete, am 31. Juli zu einem von der 16 Beaver Group veranstalteten Event zu gehen.
    Ich sollte hier erklären, dass sich diese Gruppe nach ihrer Adresse benannt hat. Die Beaver Street Nr. 16 liegt ganz unten an der Südspitze von Manhattan, nur einen Block von der New Yorker Börse entfernt. Es handelt sich dabei im Prinzip um einen Projektraum für Kunst. Wenigstens habe ich das immer so gesehen: ein Ort, wo Künstler, die obendrein Fans der italienischen autonomen Bewegung und Theorie sind, Seminare über CyberMarx oder radikales indisches Kino abhalten – oder auch über die anhaltende Bedeutung von Valerie Solanas’
Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer, SCUM
. Ich hatte ihn jedenfalls nie als einen Ort praktischer Organisation gesehen. Aber wie sich herausstellte, war dort gerade eine ganze Menge praktischer Organisation im Gang. Colleen hatte mich gedrängt, am Sonntag runterzukommen, wenn ich ein Gefühl dafür bekommen wollte, was in New York im Augenblick lief. Ich hatte zugesagt, dann irgendwie nicht mehr so recht dran gedacht, da ich den Vormittag mit einem Freund verbrachte, einem britischen Archäologen, der eben einer Konferenz wegen in der Stadt war; wir hatten auf der Suche nach geeigneten Geschenken für seine Kinder die Comicläden in der Midtown durchforstet, völlig vertieft. Gegen halb eins erhielt ich eine SMS von Colleen:

    C: Kommst du zu dieser 16-Beaver-Sache?
    D: Wann ist das gleich wieder? Ich geh hin.
    C: Jetzt:)! Geht aber bis 5, wenn du also später kommst, wird auch noch geredet.
    D: Bin schon unterwegs.
    C: Prima!
    D: Sag noch mal, worum geht’s da?
    C: So’n bisschen über alles. Titel der Runde ist anti-Sparkurs-pro-Demokratie blablabla, aber im Grunde dreht sich’s wohl darum, was auf der Welt so abgeht (es sprechen Leute über Griechenland, Spanien usw.) und wie man so was hier aufziehen könnte.

    Als ich hinkam, hatte ich Griechenland und Spanien schon verpasst, war aber überrascht, so viele vertraute Gesichter zu sehen. Den Vortrag über Griechenland hatte eine alte Freundin gehalten, die Künstlerin Georgia Sagri, und als ich reinkam, sprach gerade ein noch älterer Freund, Sabu Kohso, über Anti-Atom-Bewegungen im Gefolge der Kernschmelze im japanischen Fukushima. Der einzige Vortrag, den ich ganz mitbekam, war der letzte, über New York, der jedoch ziemlich enttäuschend ausfiel. Der Referent, ein gewisser Doug Singsen, ein leiser Kunsthistoriker vom Brooklyn College, war ein durchaus netter Kerl (obwohl er mit seinem ausgeprägten Lispeln hier und da schwer zu verstehen war). Er schilderte die Geschichte der New Yorker Anti-Cuts Coalition, die mit Bloombergville – nach Bürgermeister Michael Bloomberg – ein kleines Camp auf dem Bürgersteig gleich gegenüber vom Rathaus in Lower Manhattan gesponsert hatte. Was in gewisser Hinsicht eine frustrierende Geschichte war.
    Die Coalition hatte als breites
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