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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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die Szene dort fast noch bedrückender. Zunächst war ich noch nicht einmal sicher, ob ich überhaupt auf dem richtigen Meeting gelandet war. Eine Kundgebung jedenfalls war bereits in vollem Gange. Zwei Fernsehkameras waren auf eine behelfsmäßige Bühne ausgerichtet, die mit riesigen Transparenten, Megaphonen, Stapeln vorgefertigter Schilder ausgestattet war. Ein hochgewachsener Mann mit fliegenden Rastalocken sprach leidenschaftlich vom Kampf gegen Haushaltskürzungen; seine vielleicht achtzig Zuhörer hatten sich im Halbkreis um ihn geschart. Die meisten schienen verlegen oder gelangweilt zu sein, selbst die Fernsehteams, wie ich bei näherem Hinsehen bemerkte, da die Kameraleute nicht auf dem Posten waren; die Kameras standen unbeaufsichtigt da.
    Ich fand Georgia, die sich mit gefurchter Stirn am Rand herumdrückte. Colleen war, wie ich später erfuhr, auch da gewesen, in Begleitung ihrer Mutter, die zu Besuch in der Stadt weilte. Und der war das Ganze so unangenehm geworden, dass Colleen sich verpflichtet fühlte, mit ihr stattdessen in eine Galerie zu gehen.
    Ich fragte Georgia: »Also, wer sind die denn? Sehen mir nach WWP aus.«
    »Sind sie auch.«
    Ich war einige Jahre nicht in der Stadt gewesen, und so dauerte es einige Augenblicke, bis mir klar wurde, dass mir der größte Teil der Gesichter vertraut war. Für die meisten Anarchisten ist die Workers World Party oder WWP die Plage des Aktivisten schlechthin. Die Partei scheint – so jedenfalls unser Eindruck – aus einem kleinen Kader größtenteils weißer Funktionäre zu bestehen, die sich bei öffentlichen Veranstaltungen immer diskret hinter einem Sortiment von Strohmännern – Schwarzen und Latinos – verstecken. Sie sind berühmt dafür, eine politische Strategie zu verfolgen, die direkt aus den 30er-Jahren stammt; sie reden von »Volksfront«-Koalitionen wie dem International Action Center (IAC) oder dem Bündnis »Act Now to Stop War and End Racism« (ANSWER) 1 , die aus Dutzenden von Gruppen bestehen, die Tausende auf die Straße bringen, um mit vorgefertigten Spruchbändern demonstrieren zu gehen. Der größte Teil des Fußvolks dieser Gruppen fühlt sich von der militanten Haltung der Koalition und den anscheinend unversiegbaren Geldquellen angezogen, verbleibt aber in seliger Unwissenheit hinsichtlich der Position des Zentralkomitees zu den großen Problemen der Welt. Diese Position ist fast schon eine Karikatur eines erzkonservativen Marxismus-Leninismus, und das in einem Maß, dass so mancher von uns sich des Gedankens nicht erwehren konnte, der ganze Verein sei in Wirklichkeit ein ausgefeilter, vom FBI finanzierter Witz. So befürwortete die WWP zum Beispiel 1968 den russischen Einmarsch in die Tschechoslowakei und 1989 die blutige Niederschlagung der demokratischen Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Und die Linie der Partei ist derart streng »antiimperialistisch«, dass sie sich nicht nur gegen jedwede amerikanische Intervention in Übersee stellt, sondern obendrein auch jeden aktiv unterstützt, der von den USA offiziell in den Senkel gestellt wird, von Nordkorea bis hin zu den Hutu-Milizen in Ruanda.
    Dass die WWP das Meeting unter ihre Kontrolle gebracht hatte, war ein Desaster. Georgia und ich hatten keine Ahnung, wie diesem Verein das gelungen war, aber wir wussten beide, solange diese Ultraorthodoxen hier den Ton angaben, bestand absolut keine Möglichkeit, dass es zu so was wie einer richtigen Versammlung kommen könnte. Und als ich dann einige der Umstehenden fragte, was denn eigentlich geplant sei, bestätigten sie mir: Kundgebung, anschließend offenes Mikro und dann eine Demo durch die Wall Street selbst, wo die Führer eine lange Liste vorgefertigter Forderungen zu stellen gedachten.
    Mir stank die Situation. Auf eine entschiedenen weniger salonfähige Art, als ich es hier wiedergebe, raunzte ich einen der Angehörigen desZentralkomitees an: »Ich wollte, ihr würdet keine ›Vollversammlung‹ annoncieren, wenn ihr keine abhalten wollt.« Es war ein beunruhigend großer Weißer, der zurückraunzte: »Oha, das nenn ich Solidarität! Ich sag dir was: Warum gehst du nicht einfach?«
    Georgia und mir war jedoch aufgefallen, dass kaum einer sonderlich glücklich darüber zu sein schien, was da lief. Um es im Aktivistenjargon zu sagen: Es war wohl eben doch keine Ansammlung von »Vertikalen«, also von Leuten, die mit ausgegebenen Schildern rumlaufen und den Sprechern irgendeines Zentralkomitees zuhören
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