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Inside Aldi & Co.

Inside Aldi & Co.

Titel: Inside Aldi & Co.
Autoren: Andreas Straub
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ausgefüllt zurückgeschickt worden, was normal und im Rahmen der Stichprobe ausreichend sei. Von diesen 29  Bögen seien allerdings drei exakt identisch ausgefüllt gewesen, was eindeutig dafür spreche, dass sie von einer Person ausgefüllt worden seien.»
    Das Abfindungsangebot im Kündigungsgespräch habe man H. nur unterbreitet, um zu «vermeiden, dass über die Mitarbeiterbefragung im Betrieb so gesprochen würde, dass gegebenenfalls bei einer zukünftigen Befragung die Mitarbeiter ein ‹ungutes Gefühl› haben. Es sollte nicht die Mitarbeiterbefragung in Zusammenhang mit einer Entlassung gesehen werden.» Der zuständige Aldi-Prokurist Ludger K., schreiben die Anwälte, habe doch nur sicherstellen wollen, «dass die Mitarbeiterbefragung weiterhin von den Mitarbeitern als positiv empfunden wird, nämlich als Möglichkeit, anonym ihre Meinung gerade zu Vorgesetzten zu äußern.»
    29 . 10 . 2012 :
    Ein Fernsehsender berichtet über den Detektiv Wolfgang Paul und Überwachungspraktiken bei Aldi. Auch eine Lagerarbeiterin äußerte sich anonym in dem Beitrag.
    6 . 11 . 2012 :
    H.s Anwalt antwortet auf die Aldi-Begründung und schreibt, dass sie überhaupt keinen Fragebogen, weder den eigenen noch den von Kolleginnen, ausgefüllt und zurückgesandt habe. Sie habe zwar einen erhalten, ihn aber weggeworfen. «Viele Mitarbeiter, daran erinnere ich mich, waren sich über die Frage, ob die Anonymität gewahrt bleibt, nie sicher und haben es zu meiner Zeit mit den alle vier Jahre stattfindenden Befragungen ähnlich gehalten.» H.s Anwalt schreibt weiter: «Wie soll es möglich sein, durch das Ausfüllen eines, zweier oder dreier Fragebögen‚ es denen da oben einmal richtig zu zeigen?» Er erlaubt sich noch die Anmerkung, dass « 3 von 29  Fragebögen bereits mathematisch nicht ausreichen, aus einem guten oder durchschnittlichen Ergebnis ein sehr weit unterdurchschnittliches Ergebnis herbeizuführen».
    8 . 11 . 2012 :
    H. erhält die zweite fristlose Kündigung mit Verweis auf die Fernsehsendung.
    Die Aldi-Behauptung: Bei der anonymen Lagerarbeiterin, die im Beitrag als Birgit F. vorgestellt wurde, habe es sich in Wahrheit um Melanie H. gehandelt. Sie habe Schmähkritik geübt und unwahre Tatsachen behauptet. Unter anderem habe sie auf «Stasi-Zeiten» verwiesen.
    In einigen Passagen sei ihre Stimme verzerrt, in einer Einblendung sei sie «allerdings ohne Verzerrung zu hören».
    Der zuständige Aldi-Prokurist könne das bezeugen und «äußerst vorsorglich beziehen wir uns zum Beweis auf das Sachverständigengutachten eines Stimmsachverständigen».
    Aldi will also Stasi-Vorwürfe ausgerechnet mit Geheimdienstmethoden widerlegen: ein Stimmgutachten soll es richten. Aber dazu kommt es nicht.
    6 . 12 . 2012 :
    Das Arbeitsverhältnis von H. endet nach einer erneuten Güteverhandlung mit einem Vergleich. Die außerordentliche Kündigung wird für unwirksam erklärt. H. wird bis zum 31 . 1 . 2013 bezahlt freigestellt und erhält 18 000  Euro Sozialabfindung – also unveränderte Konditionen. Nur schweigen muss sie. Diesmal akzeptiert sie den Deal. Sie kriegt ein gutes Abschlusszeugnis. Darin steht: «Wir bedanken uns für die stets gute Zusammenarbeit und bedauern sehr, sie zu verlieren.»
    Seit September 2013 hat Aldi nun auch Patrick H. verloren. Sein befristeter Arbeitsvertrag im Anschluss an die Ausbildung lief aus. Er kennt den Fall Melanie H., will sich aber nicht mundtot machen lassen. Er ist einer der Mutigen, die sich für Verbesserungen einsetzen und zu ihrer Geschichte stehen. «Ich will andere Azubis vor diesem Laden warnen», sagt er.
    Probleme im Zentrallager Mahlberg waren der Aldi-Geschäftsleitung in Mülheim spätestens seit der desaströs ausgefallenen Mitarbeiterbefragung vom Sommer 2012 bekannt, wurden aber, sofern die Ergebnisse überhaupt ernst genommen werden, vollständig ignoriert. Denn statt sich mit den Ursachen der Unzufriedenheit zu befassen, zog man es vor, zu versuchen, diejenigen ausfindig zu machen, zu schikanieren und zu entsorgen, die sie anonym zum Ausdruck brachten.
    Die Aldi-Führungsriege will offensichtlich nicht wissen, was da los ist.
    Für Patrick H. und viele andere junge Menschen, die das demütigende Ritual, das an Aufnahmezeremonien in Burschenschaften erinnert, und andere bizarre Praktiken der Mahlberger Aldi-Statthalter über sich ergehen lassen mussten, ist diese Ignoranz der Aldi-Top-Manager fast ebenso beschämend wie die Handlungen selbst.

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