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Inselsommer

Inselsommer

Titel: Inselsommer
Autoren: Gabriella Engelmann
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über der Insel, die Wetteraussichten für die kommenden Tage waren ebenfalls alles andere als vielversprechend.
    Doch im Gegensatz zu vielen Urlaubern war ich nicht hierhergekommen, um gleich einen vierstündigen Strandspaziergang zu unternehmen, sondern um durchzuatmen und in mich hineinzuhorchen. Es gab so viele Fragen, die ich nicht beantworten konnte, egal, wie sehr mir der scharfe Nordwind den Kopf frei pusten würde. Schließlich war das
Problem
ja auch weniger eine Frage des Verstandes als des Herzens.
    »Herzlich willkommen im Hotel Stadt Hamburg«, begrüßte mich eine junge, sympathische Dame an der Rezeption und wollte wissen, ob ich gut hierhergefunden hatte. Ich nahm den Zimmerschlüssel in Empfang, und ein Page half mir mit dem Gepäck.
    Obwohl Patrick und ich im Laufe der letzten Jahre häufiger in Luxushotels abgestiegen waren, überfiel mich immer noch ein gewisses Gefühl der Unbehaglichkeit, wenn das Personal seine Dienste anbot. Doch ich wollte den jungen Mann nicht brüskieren, also folgte ich ihm den Flur entlang Richtung Spa-Bereich.
    Als ich die Zimmertür im ersten Stock öffnete, glaubte ich für einen Moment, ich sei in einem englischen Cottage. Ob Vorhang, Tapete oder Tischdecke – alles war in einem Blümchenmuster gehalten, und ich hatte das Gefühl, auf eine Blumenwiese zu blicken.
    Nachdem ich dem Pagen Trinkgeld gegeben hatte, öffnete ich das Fenster, um die frische, jodhaltige Nordseeluft hereinzulassen und mich zu vergewissern, dass ich wirklich in Westerland war und nicht in Cornwall. Dann packte ich meine Kulturtasche aus und reihte meine Kosmetika vor dem Badezimmerspiegel auf. In diesem Moment klingelte das Telefon.
    »Helen, wie lieb, dass du anrufst«, freute ich mich.
    »Störe ich?«, fragte meine Freundin.
    »Natürlich nicht. Ich bin zwar noch keine fünf Minuten hier, aber ich fühle mich jetzt schon einsam. Blöd, nicht wahr?«
    »Nein, nicht blöd, sondern vollkommen verständlich. Genau aus diesem Grund rufe ich ja an. Hast du heute noch was Schönes vor? Und wie ist das Wetter auf der Insel? Hier in Hamburg sieht es gerade aus, als ob jemand einen Eimer graue Farbe über der Stadt ausgekippt hätte.«
    »Keine Ahnung, was ich mache. Hier ist es auch nicht besonders, also werde ich vielleicht in die Sauna gehen und danach schwimmen. Oder ich setze mich ins Kaminzimmer, betrinke mich besinnungslos mit edlem Sherry und lese. Und du? Musst du nachher noch ins Gericht?«
    Helen war Anwältin für Familienrecht.
    »Ja, leider. Aber ich werde mich am Abend dafür belohnen, dass ich mich wieder mit jemandem herumgekloppt habe, der keinerlei Ambitionen hat, Unterhalt zu zahlen. Doro und ich wollen erst ins Kino und danach eine Kleinigkeit essen.«
    Ich schmunzelte.
    Besagte
Kleinigkeit
artete erfahrungsgemäß immer in einer kleinen Orgie von zwei bis drei Gängen aus. Auch wenn wir drei uns meistens die Vorspeise und das Dessert teilten. In der Regel kannte unsere Lust an kulinarischen Genüssen aber schon bei frischem Weißbrot mit Olivenöl kaum Grenzen, erst recht nicht, wenn dazu körniges Fleur de Sal gereicht wurde.
    »Ihr wisst ja, Essen ist der Sex des Alters«, pflegte Helen lachend zu sagen, während Doro ihr ölig glänzendes Kinn mit der Serviette abtupfte. Doro war Mutter von zwei Kindern und arbeitete halbtags in der Steuerkanzlei ihres Mannes Thomas, die Fürsorge lag ihr im Blut.
    »Dann wünsche ich euch beiden viel Spaß«, antwortete ich mit einem wehmütigen Ziehen in der Herzgegend. Die gemeinsamen Unternehmungen mit meinen langjährigen Freundinnen stellten seit vielen Jahren eine Konstante in meinem Leben dar, die ich sehr schätzte. Wir kannten uns vom Gymnasium und hatten zusammen Abitur gemacht. So unterschiedlich wir auch waren, wir hatten dieselbe wildromantische Vorstellung von dem Leben, das wir führen wollten, erfreuten uns an denselben Dingen und wussten, dass gute Freundschaften äußerst wichtig sind und man sie pflegen muss.
    Nachdem ich aufgelegt hatte, saß ich noch eine Weile auf dem Bett und starrte aus dem Fenster. Mittlerweile hatte draußen feiner Nieselregen eingesetzt. Selbst die Möwen zogen es vor, Schutz zu suchen, anstatt beutehungrig ihre Kreise zu ziehen und gegen den Wind anzukämpfen.
    Um mich ein wenig inspirieren zu lassen, blätterte ich in einem Sylt-Magazin, das ich am Bahnhof gekauft hatte, mit einer niedlichen Robbe vorne drauf.
    Die würde Lilly bestimmt gefallen …!
    Ein wenig melancholisch dachte ich an den
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