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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind
Autoren: Elena Santiago
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und schrecklichste Wahrheit verkündete.
    » Er hat seinen eigenen Sohn erschlagen. Er hat Robert umgebracht. Das tat er, weil er Lady Elizabeth für sich selbst wollte.«
    Harold öffnete den Mund, um zu widersprechen. Sie durften ihr einfach nicht glauben. Doch seine Zunge war gelähmt, denn als er in die Runde schaute und all die schockierten und angewiderten Blicke bemerkte, erkannte er, dass sie es doch taten.
    » Du bist mein!«, schrie er Elizabeth an. » Deshalb musste ich es tun!« Da es nun schon alle wussten, konnte er auch gleich erklären, warum er keine andere Wahl gehabt hatte.
    Plötzlich vermochte er auch seine Füße wieder zu bewegen, und er stürmte auf Celia zu.
    » Du bist an allem schuld, du Hexe! Du bist mit dem Teufel im Bunde!« Er riss die Peitsche aus seinem Gürtel. Celia legte mit der Muskete auf ihn an und drückte den Abzug, doch nichts geschah; vermutlich war das Ding überhaupt nicht geladen. Jeremy Winston hatte noch nie damit geschossen. Harold holte zu einem gewaltigen Hieb aus, doch der Wind verhinderte, dass er traf, die Schnur wurde zur Seite geweht. Zornig warf er die Peitsche fort und schlug Celia mit der Faust nieder. Als sie am Boden lag, wollte er sie treten, doch sie rollte sich blitzschnell weg und sprang auf, um mit flinken Sätzen zu Elizabeth zu laufen.
    » Ergreift ihn!«, rief der Gouverneur, und zu seinem Schrecken erkannte Harold, dass damit niemand anderer als er selbst gemeint war. Eine gewaltige Bö kam herangefegt und ließ lange Feuerzungen von dem Scheiterhaufen quer über den Platz schießen, und augenblicklich nutzte er den Tumult aus, der durch die erschrockenen Aufschreie und das allgemeine Zurückweichen entstand. Er stieß ein paar der Umstehenden zur Seite und rannte davon. Hinter ihm ging das Prasseln der Flammen im Brausen des Windes unter.
    Der Sturm wuchs sich binnen weniger Minuten zum Orkan aus. Niemand kam auf den Gedanken, Harold Dunmore zu verfolgen, jeder trachtete nur noch danach, sich in Sicherheit zu bringen. Rasende Böen bogen die Palmen bis zum Boden, eine der leichteren Holzhütten am Wegesrand wurde binnen Augenblicken zerfetzt und in Einzelteilen davongewirbelt. Elizabeth riss Felicity zur Seite und verhinderte gerade noch, dass sie von einem vorbeischießenden Brett getroffen wurde. Die Luft war mit einem Mal angefüllt von herumwirbelnden Bruchstücken, Teilen von Dächern, die abgedeckt wurden, Stroh und Spanten, Verschalungen von Wänden, dazu aller nur erdenkliche Unrat aus den Gassen und Gärten, außerdem Treibgut vom Strand, Kokosnüsse, Äste, vor allem aber Unmengen von Sand. Man sah kaum noch die Hand vor Augen, und nicht immer gelang es ihnen, allem auszuweichen, was ihnen um die Ohren flog. Duncan hatte den Kleinen unter seinen Umhang geschoben und drückte ihn schützend an seine Brust, nur mit Mühe in der Lage, das Gleichgewicht zu bewahren. Elizabeth klammerte sich an Felicity fest, dennoch wurden sie einmal beide fast von den Füßen gehoben. Celia hatte weniger Glück, sie war kleiner und leichter und fand nirgends Halt. Der Sturm zerrte sie vom Weg, ihr Körper schlug gegen eine Palme, doch gleich darauf war sie wieder bei ihnen, mit Gesten signalisierend, dass sie weitergehen sollten.
    Es fing an zu regnen, keine Tropfen, sondern eher eine Wand aus peitschendem Wasser, das sie von der Seite traf, so wie einst auf der Eindhoven. Sie verloren die Orientierung, weil sie kaum noch ein paar Schritte weit sehen konnten. Innerhalb von Minuten war es dunkel geworden, als sei es tiefste Nacht. Miteinander sprechen konnten sie nicht mehr, das Wüten des Sturms war zu laut. Sie kämpften sich einfach nur Schritt um Schritt vorwärts, immer weiter, bis sie endlich die Umrisse der Kirche vor sich auftauchen sahen. Zwei weibliche Gestalten kreuzten ihren Weg. Das Haar klebte ihnen nass am Kopf, nur einzelne Strähnen flogen im Sturmwind um ihre Gesichter. Ihre Kleidung war zerfetzt, die Haut zerschunden. Erst auf den zweiten Blick erkannte Elizabeth, wen sie vor sich hatte.
    » Anne! Deirdre!«, schrie sie, doch der Sturm war so laut, dass sie ihre eigene Stimme nicht hörte.
    Deirdre hielt Anne umfasst und stützte sie, beide mit äußerster Kraft gegen den Wind gestemmt. Sie erreichten das Tor nahezu gleichzeitig mit Elizabeth, die ihre Hand auf die von Deirdre legte, als diese das Tor öffnen wollte. Fast war es, als hätte das Schicksal sie alle zur selben Zeit hierhergeführt. Die junge Irin blickte auf. Ihr Gesicht war
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