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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
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suche einen Mann, der hier Asylant war
und vor rund einem Jahr nach Dschibuti ausgereist ist. Können Sie mir dabei behilflich
sein?«
    »Ist er denn legal nach Dschibuti eingereist?«
    »Ja, er hatte ein gültiges Einreisevisum des
Außenministeriums.«
    »Das ist erstaunlich. Wie hieß der Mann?«
    »Jussuf Barre.«
    Jung hörte lange Zeit nichts.
    »Sind Sie noch am Apparat?«, fragte er schließlich.
    »Ja, ja. Entschuldigen Sie. Hören Sie, es trifft
sich gut. Ich bin in ein paar Tagen beim Flottenchef in Glücksburg zur Berichterstattung.
Ich kann über die ungeschützte Leitung nicht reden. Ich schlage vor, wir treffen
uns dort und setzen unser Gespräch dann fort.«
    »Gerne. Aber was ist so geheimnisvoll, dass
Sie am Telefon nicht darüber sprechen können?«
    »Ich erkläre es Ihnen, wenn wir uns sehen.
Ich habe meine Gründe. Wir telefonieren, wenn ich in Deutschland bin. Ich bedanke
mich. Bis bald.«
    Das Gespräch war beendet. Wofür bedankte er
sich? Er selbst hatte zu danken. Jung schüttelte den Kopf und legte den Hörer zurück.
    Er nahm seine Jacke von der Garderobe, sah
sich noch einmal seinen leeren Schreibtisch an und ging, ohne seine Bürotür abzuschließen
– das war nun nicht mehr nötig –, das Treppenhaus hinunter, an Petersens leerer
Wachstube vorbei zu seinem Auto.
    Bis nach Hause hatte er nur zehn Minuten zu
fahren. Er war froh darüber. Dort erwartete ihn niemand. Seine Familie war ausgeflogen.
Er holte sich ein Köstritzer Schwarzbier aus dem Kühlschrank und nahm sich ein Glas.
Er setzte sich an den Küchentresen und starrte aus dem Fenster über die lange Auffahrt
hinweg auf das an der gegenüberliegenden Straßenseite hockende Siedlungshaus seines
Nachbarn. Neben ihm lag auf dem Tresen ein blaues beschriebenes Blatt Papier. Er
nahm es auf und las.
     
    › Oh mein Gott, Mama.
    Es war so toll …
    Danke, dass du mich hast fahren lassen, die
waren erst um 01.15 Uhr fertig mit Spielen. OMG. Catsuo machte so (…) tolle Musik,
und alle haben schon mal mit X-Japan gespielt (falls du nicht weißt, wer das ist:
die japanische Band und Urgründer der Visual Kei).
    Sie waren so nett und haben uns Sachen geschenkt,
außerdem haben wir uns gut und lange mit ihnen unterhalten. Sehr viel Spaß und Gelächter
(vor allem bei Porns –XX).
    You und ich sind jetzt Support-Typen, verteilen
Flyer und so. Von dem Geld ist so gut wie alles übrig geblieben. Taxi hat sechs
Euro gekostet. Eintritt gar nichts, da es ein privates Treffen war, da waren nur
so … zehn Leute.
    Na ja, egal. Ich habe mich mit ihrer Managerin
angefreundet. Hat mir auch ihre E-Mail-Adresse gegeben, blabla. Wenn ich das nächste
Mal in Berlin bin, komme ich sie kurz besuchen, wenn das geht.
    Auf jeden Fall hatten wir viel (36-mal) Spaß.
Danke!
    Ich komme heute nach der 7. Aber da bist du
ja in Husum XD .
    PS : Bin pünktlich zu Hause.‹
     
    Warum war der Brief an seine Frau gerichtet und nicht auch an ihn?
Hatte er nicht mit der Herausgabe seiner Kreditkartennummer den Besuch ermöglicht?
Oder betraf das ein anderes Konzert?

Die Fakten
     
    Am nächsten Morgen stand Jung früh auf. Seine Tochter hatte schon das
Haus verlassen und war auf dem Weg in die Schule.
    Er befreite die Küche von den Überresten des
gestrigen Abends, räumte den Geschirrspüler aus und machte einen Salat aus Äpfeln,
Apfelsinen, Bananen, Kiwis, Zitronensaft und Honig. Dann setzte er Teewasser auf
und weckte seine Frau. Sie ließen sich Zeit mit dem Frühstück. Svenja musste erst
am Nachmittag arbeiten, und er hatte Urlaub. So genossen sie in Ruhe den Obstsalat
mit Joghurt und Körnern. Sie verständigten sich darüber, was es heute zu essen geben
sollte und wer den nötigen Einkauf übernahm. Dann lauschten sie gefesselt der Radiosendung
›Am Morgen vorgelesen‹, in der Joseph Conrads Geschichte ›Der Nigger von der »Narcissus«‹
vorgelesen wurde. Sie waren sich einig: Conrad war ein fesselnder Erzähler.
    Jung stieg später die Treppen zu seinem Arbeitszimmer
hinauf und setzte sich an seinen Schreibtisch. Von hier hatte er einen freien Blick
über den Garten und die angrenzende Koppel. Dahinter sah er den in der Ferne liegenden
See, der nach dem Abbau von Kies zurückgeblieben war. Die Wolkendecke war aufgebrochen,
und die Sonne arbeitete daran, auch die verbliebenen Reste zu verbrennen. Jung rief
den Gerichtsmediziner an.
    »Endert.«
    »Hier Jung, guten Morgen. Ich wollte mal hören,
was es Neues gibt. Dürfen Sie überhaupt mit mir über
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