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Inselglück

Inselglück

Titel: Inselglück
Autoren: Elin Hilderbrand
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beäugte ihre Handschrift als Achtzehnjährige. So viel Wissen, komplett vergessen.
    Toby musterte das Album von Simon and Garfunkel. Er zog die Hülle heraus und las die Widmung ihres Vaters. »Wow«, sagte er, »kein Wunder, dass du die behalten hast.«
    Bleib bei mir, hätte Meredith fast gesagt. Verbringe den Winter hier bei mir. Ironie des Schicksals, dass es Toby früher freigestanden hätte, das zu tun, doch jetzt hatte er einen festen Job. Und natürlich seinen Sohn. Toby versprach, dass er sie, wie Connie und Ashlyn, über Thanksgiving mit Michael besuchen würde. Dan wollte auch mit seinen Söhnen kommen.
    »Und wenn du merkst, dass du nicht ohne mich sein kannst«, hatte Toby am Abend zuvor gesagt, »dann ziehst du zu mir nach Annapolis. Es ist nicht die Park Avenue und nicht Palm Beach, aber wir werden ein ehrbares Leben führen.«
    »Die Dunbar-Zahl«, las Meredith aus ihrem Anthropologieheft vor. »Hier steht, dass Menschen stabile soziale Kontakte mit maximal hundertfünfzig Leuten haben können. Einhundertfünfzig ist die Dunbar-Zahl.«
    »Stabile soziale Kontakte?«
    »Meine ganz persönliche Dunbar-Zahl ist vier«, sagte Meredith. »An guten Tagen sieben. Du, Connie, Dan, Ashlyn, Leo, Carver und … «
    Im Haus klingelte das Telefon.
    Meredith hörte Ashlyn rufen: »Ich geh ran!« Sie wusste, Ashlyn hoffte inständig, dass es Bridget war.
    Eine Sekunde später rief Ashlyn: »Meredith?«
    Das war ja zu erwarten gewesen. Meredith schaute Toby an, und Toby zog sie hoch. Draußen im Flur hielt Ashlyn ihr mit einer Miene bitterster Enttäuschung das Telefon hin.
    »Danke«, flüsterte Meredith. Und dann, in den Apparat: »Hallo?«
    »Meredith?«
    Es war Dev, und wieder klang er aufgeregt. Eine weitere schändliche Enthüllung? Noch mehr Geld entdeckt? Bei den Dschihadisten vielleicht, im Nahen Osten?
    »Hi, Dev«, sagte Meredith. Er war ihr siebenter stabiler sozialer Kontakt.
    »Diese Frau, Nancy Briggs? Im Gefängnis? In Butner?«
    »Ja?«
    »Irgendwie hat sie es geschafft. Sie und der Pfarrer. Oder sie über den Pfarrer – vielleicht war es so, denn ich glaube nicht, dass die Sekretärin des Direktors unmittelbaren Kontakt mit den Häftlingen hat. Jedenfalls hat sie den Pfarrer überredet, und der hat Freddy überredet, und er hat eingewilligt, Ihren Anruf entgegenzunehmen.«
    »Er hat eingewilligt, meinen Anruf entgegenzunehmen?«
    »Ja«, bestätigte Dev und hielt inne. »Das wollten Sie doch, oder? Darum hatten Sie mich doch gebeten?«
    »Hatte ich«, sagte Meredith. Toby drückte ihre Hand und verließ das Zimmer. Er wusste, dass es Dinge gab, die sie allein bewältigen musste.
    Freddy würde ihren Anruf entgegennehmen. Was bedeutete das? Es bedeutete, dass er in einem Raum sitzen und jemand ihm den Apparat ans Ohr halten würde, oder er würde ihn selbst in der Hand halten, und Meredith würde sprechen. Sie würde ihre vierundachtzig Fragen stellen, als ob sie Freddy einer Prüfung unterzöge: Wo? Wann? Wie? Warum?
    Warum? Warum? Warum?
    Aber sie würde nie die Antworten bekommen, nach denen sie suchte. Freddy würde sie belügen, oder er würde ihr die Wahrheit sagen, und sie würde ihm nicht glauben. Bei Freddy gab es keine Wahrheit. Freddys persönliche Dunbar-Zahl war null. Sie war immer null gewesen.
    »Oh, Dev«, sagte sie.
    »Das darf nicht wahr sein! Sie haben es sich anders überlegt.«
    »Ich fasse es selbst nicht. Tut mir leid.«
    »Sie wollen nicht mit Freddy reden?«
    »Stimmt«, bestätigte Meredith. »Genauer gesagt, möchte ich von jetzt an gar nichts mehr von Freddy hören. Es sei denn, na ja, dass er stirbt. Sie können mir Bescheid geben, wenn er stirbt.« Sie drehte am Verlobungsring ihrer Großmutter, dem Ring, den sie Freddy damals gegeben hatte, damit er ihn ihr ansteckte, an sich schon eine seltsame Transaktion, aber nun wünschte Meredith sich nichts sehnlicher, als ihren Finger wieder davon zu befreien.
    »Okay, Meredith, sind Sie sicher?«, fragte Dev. »Sie möchten, dass ich in Butner anrufe und den Leuten ausrichte, sie sollen die Sache vergessen?«
    War es das, was sie wollte? Sie stellte sich vor, wie Gefängnisbeamte zu Fred sagten: Wissen Sie was? Ihre Frau will jetzt doch nicht mit Ihnen reden. Was würde Freddy denken? Es kümmerte Meredith nicht, was er dachte. Sie würde sich selbst retten. Sie würde ans Ufer schwimmen.
    »Ich bin sicher«, sagte sie.
    »Schön«, sagte Dev, zögerte und fügte dann hinzu: »Alles Gute für Sie.«
    »Vielen Dank, Dev.«
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