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Insel der Träumer

Insel der Träumer

Titel: Insel der Träumer
Autoren: Horst Hoffmann
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immer wieder mit weit aufgerissenen Augen und zitternden Fingern auf etwas zeigte, was sich noch im Rücken der Gefährten befand, und dann zu tanzen und zu springen begann, als sei ein Dämon in ihn gefahren. »Wir haben ihn besiegt!« brüllte er. »Wir haben es geschafft, Freunde! Der Krake ist tot!«
    Farinas Schluchzen erstarb. Golads Kopf fuhr in die Höhe, und seine Blicke spiegelten das wider, was auch Mythor in diesen Momenten empfand: bange Hoffnung, Fassungslosigkeit und die Erleichterung, die sich zögernd aus dem Mantel aus Zweifeln schälte. Noch war das Toben entfesselter Gewalten und Mächte in Mythors Ohren, noch fiel es schwer zu glauben, dass der Alptraum ein Ende gefunden hatte.
    Doch als er sich umwandte, sah er den Körper des Kraken, wie er schlaff und leblos halb im Wasser lag. Die furchtbaren Fangarme waren eingerollt und dunkelbraun verfärbt. Das entsetzliche Auge war erloschen. Gelbes Blut mischte sich mit dem Wrack und wurde aus dem Schiffsleib gespült, wenn das Wrack sich nach einer Seite hin hob und senkte.
    »Ja«, flüsterte Mythor fast andächtig. »Wir haben gesiegt.«
    »Das sagte ich doch!« lachte Chrandor und gab Sadagar einen Schlag auf den Rücken, der den Steinmann von den Beinen riss und klatschend ins Wasser beförderte. Chrandor setzte ihm nach und half ihm grinsend auf. »Wenn ich das erzähle, wird mir…«
    »So!« fauchte Sadagar den ehemaligen Piraten an. »Du hast also den Kraken besiegt! Ja?«
    Chrandor wich zurück bis zwischen zwei Katapulte.
    »Nun, ich… Freund Steinmann, was willst du tun? Was… willst du mit dem Hammer? Nein, lass ihn liegen!«
    Sadagar bückte sich nach dem Werkzeug und hob es auf, ohne Chrandor aus den Augen zu lassen. »Dir dein lockeres Maul zunageln! Das werde ich tun!«
    Chrandor und Sadagar stürmten hintereinander die Treppe zum Deck hinauf. Ihre Schreie verloren sich in Richtung Heck.
    Eine Hand legte sich schwer auf Mythors Schulter. »Hör auf zu grübeln, Freund«, sagte Golad leise. »Es ist vorüber. Dieses Ungeheuer wird niemals wieder Schiffbrüchige in trügerische Träume wiegen und Menschen wie Vieh halten.«
    Die Wellen schlugen leise gegen das Wrack. Das Wasser stand nun fast bis zum unfertigen Boot, das wie durch ein Wunder von den peitschenden Tentakeln verschont geblieben war. Der volle Mond stand hoch am Himmel, genau über dem Loch in der Decke, das die Fangarme im Todeskampf gerissen hatten.
    »Rachamon«, murmelte Mythor. »Er hat sich geopfert, Golad. Er wusste, dass er in den Tod ging.«
    »Er wird für sein Tun belohnt werden, irgendwo in einer besseren Welt. Er hat viel Schlechtes getan, doch er starb geläutert.«
    Mythor lächelte dünn und schenkte dem Hünen einen dankbaren Blick. Farina saß mit dem Gesicht zur Wand auf dem nassen Boden und weinte leise.
    »Geh zu ihr«, sagte Mythor.
    Golad schüttelte den Kopf. »Hast du Rachamons Worte vergessen, Mythor?« fragte er leise. »Es war sein Wunsch, dass wir diese Insel verlassen, solange die Strömung von Sarmara wegführt.«
    »Ja«, murmelte der Sohn des Kometen, nahm Golads Hand und drückte sie fest. Es fiel ihm schwer, sich vom Anblick des toten Ungeheuers freizumachen, nicht ins Wasser zu gehen und nach Rachamons Leiche zu suchen, den Schrecken zu vergessen. »Ja, mein Freund. Doch wir schaffen es nicht mehr. Wir sind wenige, und die Nacht ist schnell vorüber. Selbst wenn Sadagar und Chrandor mit anpacken würden…«
    »Ich glaube, du irrst dich«, widersprach Golad lächelnd. Dann hob er den Arm und zeigte hinaus aufs im Mondlicht silbern glitzernde Wasser der Bucht.
    »Sie kommen. Sie sind frei, und sie werden uns helfen, das Werk zu vollenden, Mythor.«
    Mythor sah sie. Mehrere Dutzend Köpfe stachen aus dem Wasser zwischen den Klippen, die die Gasihara hielten, und viele Arme teilten das Wasser.
    Die Männer von der Insel kamen nicht länger als Jäger. Mit dem Tod des Kraken und der dämonischen Macht, die er beherbergte, war auch der Bann erloschen, der sie zu willenlosen Geschöpfen gemacht hatte. Mythor sah noch viele unschlüssig auf den Klippen stehen, so, wie sie es getan hatten, als ihnen der Krake – aus welchen Gründen auch immer – verboten hatte, bis ans Wasser zu kommen. Mythor hörte kein Triumphgeschrei. Zu verwirrt waren diese Menschen noch, zu kalt war das Entsetzen, das sich in ihre Herzen schlich, als sie nun die schreckliche Wahrheit erkannten. Nur jene, die gelernt hatten, den Tod zu verachten, die vielleicht schon nahe
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