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Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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scharfen Kanten auf ihrer Haut. Ihre Lungen schmerzten, und ihr Gesicht war naß von Schweiß und Tränen. Mit zitternder Hand tastete sie nach der Nachttischlampe und stieß in ihrer Hast, der Dunkelheit zu entfliehen, ein Buch und den überquellenden Aschenbecher zu Boden.
    Als das Licht endlich brannte, zog sie die Knie an die Brust, umschlang sie mit den Armen und schaukelte sacht, um sich zu beruhigen.
    Es ist ja nur ein Traum, sagte sie sich. Nur ein böser Traum.
    Sie war zu Hause, in ihrem eigenen Bett, in ihrer Wohnung, Meilen entfernt von der Insel, auf der Sanctuary stand. Eine erwachsene Frau von siebenundzwanzig Jahren sollte sich nicht von einem albernen Traum verrückt machen lassen.
    Aber sie zitterte noch, als sie nach einer Zigarette griff. Erst nach drei Anläufen gelang es ihr, das Streichholz zu entzünden.
    Viertel nach drei zeigte der Wecker auf dem Nachttisch. Es wurde fast zu einer Gewohnheit. Dabei gab es nichts Schlimmeres, als um drei Uhr morgens nervös wachzuliegen. Sie streckte die Beine aus dem Bett und bückte sich nach dem umgekippten Aschenbecher. Die Schweinerei wollte sie erst am Morgen beseitigen. Sie saß auf der Bettkante, das übergroße T-Shirt bauschte sich über ihren Schenkeln, und sie zwang sich zur Ruhe.
    Sie hatte keine Ahnung, warum sie ihre Träume zurück auf die Insel Lost Desire führten, zurück zu dem Haus, das sie mit
achtzehn verlassen hatte. Aber die anderen Symbole, dachte Jo, konnte wohl jeder Psychologie-Student im ersten Semester deuten. Das Haus war verschlossen, weil sie bezweifelte, daß irgend jemand sie mit offenen Armen begrüßen würde, falls sie je nach Hause zurückging. Erst neulich hatte sie darüber nachgedacht und sich gefragt, ob sie den Weg überhaupt noch finden würde.
    Sie war nun fast im Alter ihrer Mutter, als sie damals die Insel verlassen hatte. Als sie einfach verschwunden war und ihren Mann mit den drei Kindern zurückgelassen hatte, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen.
    Hat Annabelle jemals davon geträumt, nach Hause zurückzukehren und vor einer verschlossenen Tür zu stehen, fragte sich Jo.
    Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken, sich nicht mehr an die Frau erinnern, die ihr zwanzig Jahre zuvor das Herz gebrochen hatte. Jo ermahnte sich, daß sie inzwischen längst darüber hinweg sein sollte. Sie konnte ohne ihre Mutter leben, ohne Sanctuary und ihre Familie. Sie hatte es geschafft – zumindest beruflich.
    Geistesabwesend tippte sie die Asche von der Zigarette und schaute sich in ihrem Schlafzimmer um. Es war einfach und praktisch eingerichtet. Trotz ihrer vielen weiten Reisen gab es nur wenige Souvenirs. Außer den Fotos natürlich. Sie hatte die Schwarzweißabzüge mit Passepartouts versehen, gerahmt und diejenigen, die sie am beruhigendsten fand, in dem Raum aufgehängt, in dem sie schlief
    Hier eine leere Parkbank mit schwarzem schnörkeligen Eisengestell. Und dort eine einsame Weide, deren filigranes Laub sich wie ein Spitzenschleier über einen spiegelglatten Teich ergoß. Der Garten im Mondschein war eine Studie in Licht und Schatten, Struktur und kontrastierenden Formen. Der menschenleere Strand mit der gerade den Horizont durchbrechenden Sonne verlockte den Betrachter regelrecht, in das Foto einzutreten und den rauhen Sand unter den Füßen zu spüren.
    Sie hatte das Strand-Foto erst in der vorigen Woche aufgehängt, nachdem sie von einem Shooting in den Outer Banks von North Carolina zurückgekehrt war. Jo kam zu dem Schluß,
daß sie vielleicht deshalb wieder an zu Hause gedacht hatte. Sie war nicht weit davon entfernt gewesen. Sie hätte nur noch ein kleines Stück in Richtung Süden nach Georgia fahren und dann auf die Insel übersetzen müssen.
    Es gab keine Straße nach Desire, keine Brücke führte über den Sund.
    Aber sie war nicht nach Süden gefahren. Sie hatte den Auftrag abgeschlossen und war nach Charlotte zurückgekehrt, um sich wieder in ihre Arbeit zu vergraben.
    Und in ihre Alpträume.
    Sie drückte die Zigarette aus und stand auf. Sie wußte, daß sie nicht mehr einschlafen würde, also schlüpfte sie in ihre Jogginghose. Die Arbeit in der Dunkelkammer würde sie auf andere Gedanken bringen.
    Wahrscheinlich bin ich wegen des Buchprojekts so nervös, sagte sie sich, während sie das Schlafzimmer verließ. Es war ein riesiger Schritt in ihrer Karriere. Obwohl sie nie an ihren Arbeiten gezweifelt hatte, war das Angebot eines großen Verlagshauses, eine Auswahl ihrer Fotos zu einem Bildband
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