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Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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schon daran, zum Arzt zu gehen und sich etwas für ihre Nerven geben zu lassen, bevor sie endgültig durchbrannten. Aber sofort mußte sie an die Psychiater denken. Bestimmt würden sie in ihrem Hirn herumschnüffeln, es durchwühlen und Dinge ans Tageslicht zerren, die sie eigentlich vergessen wollte.
    Sie würde es in den Griff bekommen. Sie hatte Übung darin, Dinge zu regeln. Oder, wie Brian immer gesagt hatte, sie verstand es perfekt, sich den Weg freizuboxen, so daß sie alles selbst regeln konnte.
    Welche Wahl hatte sie, hatten sie alle gehabt, als sie allein und verlassen auf jenem verdammten Fleckchen Land mitten im Nirgendwo festsaßen?
    Bei diesen Gedanken überfiel sie Wut, ganz unvermittelt und heftig. Sie erzitterte, ballte die Fäuste im Schoß und mußte sich zwingen, die hitzigen Worte hinunterzuschlucken, die sie ihrem Bruder – der nicht mal da war – am liebsten entgegengeschleudert hätte.
    Müde, sagte sie sich. Sie war einfach todmüde, sonst nichts. Sie mußte ihre Arbeit beiseite legen, das Schlafmittel nehmen, das sie neulich gekauft hatte, das Telefon abstellen und schlafen. Dann würde sie sich besser fühlen. Stärker.
    Als die Hand auf ihre Schulter fiel, stieß sie einen gellenden Schrei aus und warf den Kaffeebecher von sich.
    »Himmel, Jo!« Bobby Banes machte einen Satz zurück und ließ die Post fallen.
    »Was machst du? Was, zum Teufel, machst du hier?« Jo sprang von ihrem Hocker auf, der krachend umfiel, während Bobby sie verblüfft anstarrte.
    »Ich … du hast doch gesagt, du würdest um acht anfangen. Ich bin nur ein paar Minuten zu spät.«
    Um Atem ringend, griff Jo nach der Kante ihrer Arbeitsplatte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Um acht?«
    Ihr Praktikant nickte vorsichtig. Er schluckte und kam ihr nicht näher. Sie sah für seine Begriffe noch ziemlich wild und angriffslustig aus. Er arbeitete schon das zweite Semester für
sie und hatte sich eingebildet, nun langsam zu wissen, wie er ihre Anweisungen zu verstehen hatte, wie er am besten mit ihren Launen klarkam und wie er vermied, sie in Rage zu bringen. Aber er hatte keine Ahnung, wie er mit der brennenden Angst in ihrem Blick umgehen sollte.
    »Warum, zum Teufel, hast du nicht angeklopft?« fuhr sie ihn an.
    »Hab’ ich doch. Und als du dich nicht gerührt hast, dachte ich mir schon, daß du hier hinten in der Dunkelkammer bist, also hab’ ich mit dem Schlüssel aufgeschlossen, den du mir gegeben hast, als du neulich für den Auftrag unterwegs warst.«
    »Gib ihn mir zurück. Sofort.«
    »Klar, Jo.« Den Blick unverwandt auf sie gerichtet, kramte er in der Tasche seiner modisch verwaschenen Jeans. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    Jo zwang sich zur Ruhe und griff nach dem Schlüssel. Die Angst ließ jetzt etwas nach, und die Sache war ihr eher peinlich. Um etwas Zeit zu gewinnen, bückte sie sich und stellte den umgekippten Schemel wieder auf. »Tut mir leid, Bobby. Du hast mir einen Mordsschreck eingejagt. Ich hab’ dich nicht klopfen hören.«
    »Schon in Ordnung. Soll ich dir noch einen Kaffee holen?«
    Sie schüttelte den Kopf und gab ihren zitternden Knien nach. Als sie sich auf den Schemel fallen ließ, zwang sie sich zu einem Lächeln. Er war ein guter Schüler – ein bißchen eingebildet wegen seiner Arbeiten, aber er war erst einundzwanzig.
    Was sein Äußeres betraf, machte er einen auf Kunststudent: dunkelblonder, schulterlanger Pferdeschwanz und einen einzelnen goldenen Ohrring, der sein langes, schmales Gesicht betonte. Seine Zähne waren perfekt. Seine Eltern waren wohl Anhänger der Kieferorthopädie, dachte sie, während sie die Zunge über ihren leichten Überbiß gleiten ließ.
    Aber er hatte ein gutes Auge und eine Menge Talent. Deswegen arbeitete er schließlich bei ihr. Jo war immer bereit zurückzuzahlen, was sie selbst bekommen hatte.
    Weil seine großen braunen Augen sie noch immer argwöhnisch musterten, bemühte sie sich um ein etwas netteres Lächeln. »Ich hatte eine schlechte Nacht.«
    »Sieht man.« Auch er unternahm den Versuch eines Lächelns. »Die Kunst besteht darin, zu sehen, was wirklich da ist, stimmt’s? Und du siehst wirklich erschlagen aus. Hast nicht geschlafen, was?«
    Wenn Jo eines nicht war, dann eitel. Achselzuckend rieb sie ihre müden Augen. »Nicht viel.«
    »Du solltest es mal mit Melatonin versuchen. Meine Mutter schwört drauf.« Er bückte sich, um die Scherben des Kaffeebechers zusammenzuklauben. »Und außerdem solltest du nicht so
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