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Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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zusammenzustellen, doch ziemlich unerwartet gekommen.
    Naturstudien von Jo Ellen Hathaway, dachte sie, als sie sich in der kleinen Kochnische einen Kaffee machte. Nein, das klang nach einem wissenschaftlichen Projekt. Blicke ins Leben? Hochtrabend.
    Sie lächelte flüchtig, strich ihr rotes Haar zurück und gähnte. Am besten machte sie nur die Aufnahmen und überließ die Auswahl des richtigen Titels den Experten.
    Sie konnte sehr wohl unterscheiden, wann sie sich besser im Hintergrund hielt und wann es galt, Stellung zu beziehen. Eines von beiden hatte sie die meiste Zeit ihres Lebens getan. Vielleicht würde sie ja ein Exemplar des Buches nach Hause schicken. Was würde ihre Familie wohl davon halten? Würde der Bildband eines der Beistelltischchen zieren, wo ein Übernachtungsgast darin blättern und sich fragen konnte, ob Jo Ellen Hathaway wohl irgendwie mit den Hathaways verwandt war, die die Pension führten?
    Würde ihr Vater es überhaupt aufschlagen und erkennen, was sie in all den Jahren gelernt hatte? Oder würde er nur die
Achseln zucken, das Buch ungeöffnet beiseite legen und zu einem Spaziergang über seine Insel aufbrechen? Über Annabelles Insel.
    Es war unwahrscheinlich, daß er heute noch an seiner ältesten Tochter interessiert sein würde. Und es war dumm von dieser Tochter, dieser Frage jetzt noch Bedeutung beizumessen.
    Mit einem Achselzucken vertrieb Jo ihre Gedanken und nahm einen blauen Becher vom Haken. Während sie wartete, daß der Kaffee du chlief, lehnte sie sich an die Arbeitsplatte und schaute aus dem kleinen Küchenfenster hinaus.
    Immerhin hatte es ein paar Vorteile, um drei Uhr morgens auf den Beinen zu sein. Das Telefon klingelte nicht. Niemand kam vorbei, niemand faxte ihr, niemand erwartete etwas von ihr. Und wenn sich ihr Magen nervös verkrampfte und ihr Kopf schmerzte, dann bekam das außer ihr selbst niemand mit.
    Die Straßen jenseits des Küchenfensters waren dunkel und leer und feucht vom spätwinterlichen Regen. Eine Straßenlaterne warf eine kleine Lichtpfütze – einsames Licht, dachte Jo. Niemand sonnte sich darin. Die Einsamkeit barg so viele Rätsel. So unendlich viele Möglichkeiten.
    Sie verspürte den Drang, den solche Szenen bei ihr oft auslösten. Sie ignorierte den Duft des frischen Kaffees, griff nach ihrer Nikon und schlüpfte barfuß hinaus in die frostige Nacht, um die ausgestorbene Straße zu fotografieren.
    Das beruhigte sie wie nichts sonst. Mit der Kamera in der Hand und einem Bild im Kopf konnte sie alles andere vergessen. Mit bloßen Füßen patschte sie durch die eiskalten Pfützen und experimentierte mit verschiedenen Blickwinkeln. Ärgerlich und doch abwesend schüttelte sie ihr Haar nach hinten. Hätte sie es schneiden lassen, würde es ihr jetzt nicht ständig ins Gesicht hängen.
    Sie machte fast ein Dutzend Aufnahmen, bevor sie zufrieden war. Als sie sich umdrehte, wanderte ihr Blick nach oben. Sie stellte fest, daß in ihrer Wohnung alle Lichter brannten. Es war ihr nicht aufgefallen, daß sie für den kurzen Weg vom Schlafzimmer in die Küche so viele angemacht hatte.
    Mit geschürzten Lippen überquerte sie die Straße und veränderte erneut die Brennweite. Sie ging in die Hocke und richtete die Kamera nach oben, um die erleuchteten Fenster in dem dunklen Gebäude einzufangen. Höhle einer Schlaflosen , dachte sie. Mit einem leisen Lachen, das so unheimlich hallte, daß sie erschauderte, ließ sie die Kamera sinken.
    Gott, vielleicht war sie ja verrückt. Würde eine normale Frau um drei Uhr morgens, nur spärlich bekleidet und vor Kälte zitternd, Fotos von ihren eigenen Fenstern machen?
    Sie rieb sich die brennenden Augen und wünschte sich sehnlichst das einzige, das sich ihr immer zu entziehen schien. Normalität.
    Dafür brauchst du Schlaf, dachte sie. Mehr als einen Monat hatte sie schon nicht mehr durchgeschlafen. Du mußt regelmäßig essen. Sie hatte in den vergangenen Wochen fünf Kilo abgenommen, und ihre lange Gestalt wirkte bereits knochig. Deine Gedanken müssen endlich zur Ruhe kommen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals darauf Wert gelegt zu haben. Freunde? Sicher hatte sie Freunde, aber niemanden, der ihr so nahe stand, daß sie ihn mitten in der Nacht hätte anrufen können, um sich trösten zu lassen.
    Familie. Nun, sie hatte eine Familie. Einen Bruder und eine Schwester, deren Leben sich von ihrem getrennt hatten. Einen Vater, der für sie fast ein Fremder war. Eine Mutter, von der sie seit zwanzig Jahren nichts
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