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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken
Autoren: Cornelia Franz
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stundenlang ohne Mütze und in einer viel zu dünnen Jacke durch die vom Schnee und Eis befreite Landschaft, bis er nicht mehr konnte, kam bester Laune nach Hause und kippte dann erschöpft auf sein Bett. Drei, vier Tage machte er das so, dann war sein Akku leer. In einem letzten Aufbäumen gegen den Durst schloss er sich in seinem Zimmer ein, hustete und schimpfte und trampelte wie ein gefangenes Tier auf und ab und begannmit dem Gebrüll. Manchmal drehte ich meine Anlage bis zum Anschlag auf, um ihn nicht zu hören.
    Ich wusste, dass er nicht lange durchhalten würde. Solange ich ihn kannte, hatte er es noch nie länger als sechs Tage geschafft. Aber immerhin bedeutete das fast eine Woche, in der ich Ruhe hatte vor seinen Spleens, in die er sich verstrickte, wenn er genügend Sprit getankt hatte.
    Mein Vater wollte, dass ich Bienen züchtete. Ich war siebzehn und ich sollte Imker werden. Auf Grönland ... Welche Biene war so verrückt, sich hier niederzulassen? Mehr als drei Viertel des Landes liegen unter Eis begraben und noch im August wird es in Nuuk kaum wärmer als fünfzehn Grad. Grönland ... Kalaallit Nunaat , das Land der Menschen ... was für ein Witz. Niemand kam freiwillig hierher, ans Ende der Welt. Niemand außer meinem durchgeknallten Vater.
    Die Idee mit den Bienen steckte seit dem letzten Sommer in seinem Kopf, als wir einen unserer seltenen Vater-Sohn-Ausflüge gemacht hatten. Wir waren mit dem Schiff nach Nanortalik gefahren, ganz im Süden, um dort zu klettern. Er wollte mir zeigen, dass er noch der Alte war. Der Typ, der fast den Gipfel des Ketil bezwungen hätte, wenn er damals das Geld für eine anständige Kletterausrüstung gehabt hätte. Aber er war zu betrunken gewesen, um seine Stiefel alleine zuzukriegen. Und so waren wir nur im Qinguadalen gewandert, was man auch auf Alk noch schafft. Ein paarmal stolperte er über seine Schuhbänder. Wenn ich ihn nicht am Arm erwischt hätte, wäre er der Länge nach hingeschlagen.
    Im Qinguadalen gibt es richtige Bäume. Es ist eine derwenigen Gegenden Grönlands, die so etwas wie einen Wald haben. Keine geduckten, armseligen Krüppelkiefern, die vor der Kälte kapituliert haben, sondern sechs Meter hohe Birken, durch die der Wind flirrt. Und als er die Bäume und Schafsweiden und blühenden Wiesen sah, wurde er sentimental und erzählte mir von seiner Kindheit in Dannenberg.
    »Weißt du, Pakku?«, hatte er gefragt und geräuschvoll seine Nase hochgezogen. »Deine Großmutter hatte Bienenstöcke, hinten im Garten am Bahndamm. Sie hatte wirklich Ahnung von diesen Dingen. Sie hat einen wunderbaren Honig gemacht, ganz mild und weich wie Sahne. Für den würde man hier bei uns ein Vermögen bezahlen.« Sein Gesicht war von einem schwärmerischen Leuchten überzogen gewesen, was äußerst selten vorkam, wenn er von Deutschland sprach. Normalerweise fluchte er über die Deutschen und ihr spießiges kleines Land.
    Am Abend nach unserer Wanderung, als mein Vater mit seinem üblichen Sechserpack Bier vor dem Brugsenladen in Nanortalik saß, um zu verschnaufen, drückte ihm jemand einen Zettel in die Hand. Man sollte irgendwas unterschreiben oder spenden oder irgendwo mitmachen. Ich hatte nicht so genau hingeschaut, was ein Fehler war. Ich hätte ihm das Flugblatt aus den Händen reißen müssen. Ich hätte es wegwerfen sollen oder aufessen, so wie es die Geheimagenten mit gefährlichen Papieren machen.
    Erst als wir bei Mikael Aariak gewesen waren, einem alten Kumpel meines Vaters, in dessen Zweizimmerhäuschen wir übernachteten, hatte er den Zettel gelesen.
    »Hey«, hatte er gesagt, »hey! Das ist vom Verein Bienen auf Grönland . Die wollen hier Bienen züchten! Gerade vorhin hab ich noch davon gesprochen und jetzt dieses Schreiben! Das ist kein Zufall!« Und dann hatte er mir und Mikael erzählt, was für eine großartige Sache die Imkerei sei und dass man reich und berühmt werden würde, wenn man es schaffte, auf Grönland Honig zu gewinnen. Mikael hatte sich auf die Schenkel geschlagen und ihm erklärt, dass Nanortalik Bärenort bedeutet, weil hier die Eisbären auf dem Treibeis vom Polarmeer vorbeischipperten. »Bären!«, hatte er gedröhnt, »nicht Bienen, kapierst du?« Doch mein Vater hatte bierernst auf ihn herabgeschaut und gewartet, bis Mikael mit dem Lachen aufgehört hatte. »Wir werden das professionell aufziehen«, hatte er salbungsvoll verkündet. Das war einer seiner Lieblingssprüche.
    Als wir wieder in Nuuk waren, fing er gleich an,
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