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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen
Autoren: Reginald Hill
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Schicksal seiner entfernten Verwandten Cissy Kohler zu interessieren begann. Das von ihm entdeckte neue Beweismaterial wurde im Frühling zum ersten Mal der Öffentlichkeit in der Fernsehsendung
Zweifel
vorgestellt. Zwischenzeitlich hat der Innenminister endlich eingesehen, daß es ernstzunehmende Gründe gibt, von einem groben Justizirrtum auszugehen. Er hat die vorläufige Entlassung meiner Mandantin bis zur endgültigen Entscheidung des Appellationsgerichts angeordnet.
    Bis die Entscheidung des Gerichts öffentlich bekanntgegeben wird, kann ich natürlich keinen Kommentar zu den juristischen Implikationen des Vorgefallenen abgeben. Auf das Offenkundige kann ich jedoch verweisen. Meine Mandantin hat mehr Jahre im Gefängnis verbracht als jede andere Frau in den Annalen der englischen Kriminalgeschichte. Es braucht nicht extra betont zu werden, daß sie eine entsprechend lange Zeit braucht, sich in der Freiheit zurechtzufinden. Doch da sie sich des großen öffentlichen Interesses an ihrem Fall bewußt ist, ist sie auf die Empfehlung ihrer Berater eingegangen, diese Pressekonferenz zu geben. Sie hofft, daß die Medien sie dann in Ruhe lassen, so daß sie wieder zu sich selbst finden kann.«
    »Gilt das auch für Jay Waggs und Ebor Television?« ruft eine junge Frau mit scharfen Zügen.
    Jay Waggs fragte sie lächelnd: »Eine Frage pro Zeitung lautete die Abmachung. Ist das Ihre Frage, Sally?«
    »Nein! Miss Kohler, ich bin Sally Blindcrake vom
Daily Sphere
. Was empfanden Sie bei der Nachricht, daß man Sie freilassen würde?«
    Cissy Kohler sprach so leise, daß noch nicht einmal das Mikrophonsträußchen ihre Stimme auffangen konnte.
    »Tut mir leid. Das habe ich nicht gehört.«
    »Sie sagt, daß sie nichts gefühlt hat«, sagt Waggs. »Nächste Frage.«
    »Nichts?« wiederholt Blindcrake ungläubig. »Nach all den Jahren sagt man Ihnen, daß Sie unschuldig sind, und Sie fühlen
nichts?
«
    Kohler hebt den Kopf und spricht erneut, diesmal laut genug, um gehört zu werden.
    »Das wußte ich bereits.«
    Eine Pause, dann Lachen, eine kleine Welle des Applauses.
    »Der nächste«, sagte Waggs.
    »Martin Redditch, BBC Television. Miss Kohler, Sie haben erst 1976 einen Antrag auf Straferlaß gestellt, obwohl sie das schon früher hätten tun können. Was hat Sie davon abgehalten?«
    Sie runzelt die Stirn und sagt: »Ich war noch nicht so weit.«
    »So weit wofür?« ruft jemand, doch Redditch drängt auf Antwort, obwohl er nur eine Frage stellen darf.
    »Aber 76 waren Sie dann so weit, richtig? Und es sah so aus, als ob Sie entlassen würden, bis Sie die Gefängniswärterin Daphne Bush im Gefängnis von Beddington angriffen und töteten. Oder behaupten Sie, auch in diesem Fall unschuldig zu sein?«
    Sie läßt sich Zeit, nicht als sei die Anstrengung des Erinnerns schmerzlich, sondern als sei die Maschinerie ihres Gedächtnisses rostig.
    Schließlich sagte sie: »Ich habe sie getötet.«
    Redditch versucht, noch eine Frage nachzuschieben, aber nun unterbricht Waggs ihn.
    »Okay, Martin, Sie haben zwei gestellt. Sagen wir eine für jeden Kanal. Weiter!«
    »Norman Proudfoot,
Church Times
. Miss Kohler, in der Fernsehsendung wird die Bibel erwähnt, die Ihre Mutter Ihnen als Kind gab. Ich vermute, daß es dieselbe Bibel ist, die Sie jetzt dabeihaben. Können Sie uns sagen, welchen Trost sie Ihnen während Ihrer langen Haft gebracht hat?«
    Sie sieht auf das Buch hinunter, das sie noch immer fest an die Brust drückt.
    »Sie hat mir geholfen, in mich hineinzusehen. Ich glaube nicht, daß ich ohne sie überlebt hätte.«
    Das ist ihre längste Antwort.
    Es hagelt Fragen, einige aggressiv, andere insinuierend, wiederum andere einfach dumm. Auf alle geht sie auf dieselbe Art ein – erst kommt eine Pause, auf die mit leiser, monotoner Stimme eine kurze Antwort folgt. Schon bald greift Waggs nicht mehr ein, sondern entspannt sich und lächelt leise vor sich hin, während die Kohorten der Presse sich vergeblich bemühen, zu Cissy Kohler durchzudringen.
    Zu guter Letzt herrscht Schweigen im Raum. Waggs fragt: »Sind wir fertig?«
    Sally Blindcrake sagt: »Ich weiß, daß ich meine Frage schon gestellt habe, aber das ist so lange her, daß ich bereits vergessen habe, wie sie gelautet hat. Was halten Sie davon, daß ich den Kreis schließe?«
    »Im Interesse der Ausgewogenheit? Das ist mit Sicherheit etwas Neues beim
Sphere,
Sally. Okay. Letzte Frage.«
    »Miss Kohler. Cecily. Cissy. Wenn Sie unschuldig waren, warum haben Sie
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