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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen
Autoren: Reginald Hill
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dich an, Andy. Bist den ganzen Weg gekommen, weil du dir Sorgen um mich gemacht hast, und dabei war das gar nicht nötig!«
    Dalziel schüttelte in liebevoller Verzweiflung den Kopf. Jemand, der ihn als Beispiel für die grundsätzliche Güte des Menschen anführte, war eindeutig ein hoffnungsloser Fall. Maudie war inzwischen über 70, ergraut, hatte etwas Mühe beim Gehen, aber im wesentlichen war sie die hübsche, liebenswerte, etwas in anderen Sphären schwebende Frau geblieben, die er vor mehr als 30 Jahren kennengelernt hatte und die schon damals – sofern zutraf, was die Leute behaupteten – dem Mädchen mit den großen Augen, das Walter Tallantire in den 1930ern geheiratet hatte, sehr ähnlich geblieben war.
    »Die Frau eines Polizisten muß entweder zäh wie Sohlenleder sein, um das Leben auszuhalten, oder in ihrer eigenen Welt leben, damit sie nichts mitkriegt«, hatte Wally einmal im Vertrauen zu ihm gesagt, als ihre Bekanntschaft an Dauer gereift war und sie schon manches Glas miteinander geleert hatten. »Meine Maudie ist eine seltene Pflanze, Andy. Wenn mir etwas zustößt, muß jemand auf sie aufpassen. Das tust du doch mir zuliebe, Junge, ja? Versprichst du mir das?«
    Dalziel hatte ihm sein Wort gern gegeben, doch als es soweit war und Tallantire kurz vor seinem Ruhestand bei einem Herzanfall gestorben war, stellte sich heraus, daß Maudie sehr wohl in der Lage war, auf sich selbst aufzupassen. Innerhalb eines Jahres war sie in ihren Heimatort Skipton übergesiedelt und hatte die Verbindungen aus ihrer Jugend wiederaufgenommen, die durch ihren Umzug von West- nach Mid-Yorkshire unterbrochen worden waren.
    Eine Weile hatte Dalziel sie regelmäßig besucht, dann nur noch von Zeit zu Zeit und in den vergangenen Jahren so gut wie nie. Doch als er die Kohler-Pressekonferenz im Fernsehen sah, wußte er, daß die Zeit reif war, ihr einen weiteren Besuch abzustatten.
    Er hatte ihr vorschlagen wollen, ein paar Tage bei Freunden zu verbringen, für den Fall, daß die Presse aufkreuzen würde, aber er war kein Freund überflüssiger Worte. Statt dessen hatte er sein Video ein Stück zurücklaufen lassen, neu gestartet und das Band angehalten, als er die Einstellung durch die offene Tür mit Blick in den Korridor erreicht hatte.
    »Erinnert dich der Kerl da an jemanden, Maudie?«
    »Der große?« fragte sie und schaute sich die beiden Männer an, auf die sein breiter Zeigefinger wies. »Er sieht ein bißchen wie Raymond Massey aus.«
    »Nein, ich meine wie jemand, den du kennst? Und ich meine den anderen. Wer der Große ist, weiß ich. Er heißt Sempernel. Er hat damals herumgeschnüffelt. Behauptete, vom Innenministerium zu sein, war aber einer von den komischen Hengsten, daran besteht kein Zweifel. Den wirst du noch nie gesehen haben. Aber der andere, der dünne Wicht, erinnert der dich an jemanden? Und sag ja nicht Mickey Rooney, Mädchen!«
    »Er sieht überhaupt nicht wie Mickey Rooney aus«, erwiderte die Frau und musterte den Mann. »Ähnlich sieht er niemandem, aber bekannt kommt er mir vor.«
    »Erinnerst du dich an einen Sergeant namens Hiller? Wir haben ihn immer Adolf genannt. Wally konnte ihn nicht riechen und ist ihn losgeworden.«
    »Vage«, sagte sie. »Aber was hat Sergeant Hiller da zu suchen?«
    »Genau das würde ich auch gern wissen«, sagte Dalziel grimmig. »Und Sergeant ist er auch längst nicht mehr. Stellvertretender Chief Constable, unten im Süden, wenn es stimmt, was ich zuletzt gehört habe. Tja, je höher der Affe klettert, desto mehr zeigt er von seinem Hintern, was?«
    Maudie Tallantire lachte. »Du änderst dich nicht, Andy. Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«
    »Großartig. Übrigens, Maudie, hast du noch persönliche Unterlagen von Wally? Mir kommt es so vor, als hättest du mal gesagt, du hättest bei deinem Umzug hierher eine Menge Zeug zusammengepackt, für den Fall, daß etwas Wichtiges dabei ist …«
    »Das stimmt. Und du hast damals gesagt, daß du es durchgehen würdest, wenn du Zeit hättest. Aber das ist Ewigkeiten her, Andy. Und du hast wohl nie Zeit gehabt.«
    »Tut mir leid«, sagte er schuldbewußt. »Du weißt, wie das ist. Aber wenn du die Sachen noch hast, kann ich sie mir ebensogut jetzt ansehen.«
    »Ich habe sie wahrscheinlich schon längst weggeworfen«, sagte sie. »Sie waren in einem alten blauen Koffer, einem von den kleinen, die man damals genommen hat, wenn man verreiste. Heute braucht man einen Kabinenkoffer. Er steht im Abstellraum, wenn ich
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