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Innerste Sphaere

Innerste Sphaere

Titel: Innerste Sphaere
Autoren: Sarah Fine
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eine Art Lemming harrte sie aus, bis sie an der Reihe war, von der Klippe zu springen. Mit den anderen Leuten, die auf ihren Termin beim Richter warteten, hatte sie wenig Ähnlichkeit. Mir wurde schwer ums Herz. Selbst wenn ich es schaffte, dass sie entlassen wurde, würde sie denn allein zurechtkommen?
    »Nein«, stellte Raphael richtig. »Du täuscht dich in Malachi.«
    Den Blick auf den Fußboden geheftet, nickte ich traurig. »Ist klar. Ich habe mich in Malachi getäuscht. Aber jetzt weiß ich, was los ist.«
    »Bist du dir da ganz sicher?«
    »Ich habe euer Gespräch mitgehört. Ich weiß, was er vorhat.«
    Raphael lachte leise. »Ja, verliebte Männer machen verrückte Sachen.«
    Mir fiel die Kinnlade herunter. »Verrückt ist nicht ganz das richtige Wort. Gemeingefährlich passt besser, findest du nicht?« Die riesigen Türflügel zum Gerichtssaal öffneten sich. Voller Angst beobachtete ich, wie sie sich auftaten.
    »Nein. Irregeleitet wäre mir dazu eingefallen. Aber auch edel. Selbstlos. Opferbereit.«
    »Ihr habt hier wirklich merkwürdige Werte«, blaffte ich ihn an, als die Flügeltür weit offen stand.
    Wieder lachte Raphael. Ich sah ihn an und wich einen Schritt zurück. Sein Gesicht loderte, erleuchtet vom Buntglas und der Sonne, vollkommen verwandelt, nun furchterregend und schön und vollkommen übermenschlich.
    Heilige Scheiße.
    »Höre, kleines Mädchen.« Seine Stimme hallte an dem Marmor wider und erschütterte mich bis ins Mark. »Malachi würde Nadia niemals Leid zufügen.«
    Bisher war Raphael immer nur freundlich gewesen, aber jetzt wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wozu er fähig war. In diesem Augenblick sah er aus, als könnte er das Gebäude durch ein Stirnrunzeln zum Einsturz bringen. Vielleicht war das doch dieser gewisse Raphael. Und ich hatte einen verdammten Erzengel zornig gemacht.
    »Warum hast du ihm dann nicht geholfen?«, piepste ich.
    Schlagartig verwandelte er sich wieder in den harmlosen sommersprossigen Mann, den ich kannte, sodass ich überlegte, ob ich mir seine momentane … was immer das war, eingebildet hatte. Ich blinzelte.
    »Weil Malachi für etwas anderes bestimmt ist, Lela«, sagte er, als hätte ich das wissen müssen. Er nickte in Nadias Richtung und zuckte die Schultern. »Er ist nicht dafür bestimmt, sich für Nadia zu opfern.«
    »Sich zu opfern?«, flüsterte ich, während die Welt zu kippen schien. Er wollte Nadia nichts tun. Er wollte sich opfern, damit Nadia freikam. Für mich. Damit ich es nicht tun musste. »O mein …«
    »Jetzt hast du es verstanden«, sagte Raphael beiläufig, als er mich und Nadia in den Gerichtssaal schob.

31
    Mit Nadia an der Hand ging ich durch den Mittelgang, ohne zu erkennen, was sich am Ende des Raums befand. Er schien sich bis in die Ewigkeit zu erstrecken, makellos weiß, sodass man Wände, Fußboden und Decke kaum unterscheiden konnte. Alle paar Meter standen Wächter bereit. Nicht einmal ihre Augen bewegten sich, als wir vorbeizogen.
    »Ist das der Ort?«, fragte Nadia.
    »Ja, das ist der Ort«, erwiderte ich. Mit der Hand beschirmte ich meine Augen und spähte ins Helle. Als wir den letzten Wächter passiert hatten, sah ich in der Ferne eine Gestalt an einem kleinen, weißen Schreibtisch sitzen. »Wir sprechen gleich mit diesem … diesem … dieser …«
    Wie ich die Person, die ich sah, nennen sollte, war mir schleierhaft. Als wir näherkamen, erkannte ich, dass es eine Frau war, was mich überraschte. Malachi hatte immer von dem Richter gesprochen. Aber dieser Richter war eindeutig eine Frau. Sie hatte sogar große Ähnlichkeit mit Diane. Von den kahlen weißen Wänden hoben sich ihre Haut und ihre Robe tief dunkel und beruhigend ab. Ihr Haar war silbern. Und ihr Lächeln freundlich. Aus irgendeinem Grund wirkte sie dadurch unheimlich.
    »Lela und Nadia. Ihr seid ein bisschen früher gekommen als erwartet, aber ihr seid trotzdem willkommen.« Ihre Stimme war weich und voll wie Karamell. »Die Verhandlung kann beginnen«, fuhr sie fort und ihre Stimme wurde lauter und schärfer und klang mir in den Ohren. »Es läuft folgendermaßen ab. Ihr tragt euer Plädoyer vor und ich fälle mein Urteil. Wer fängt an?«
    Grinsend sah sie Nadia an. Nadia starrte auf den Boden.
    Dann lenkte die Richterin ihren Blick auf mich und lachte dröhnend. »Schätzchen, warum schaust du mich so an?«
    »Ich hatte irgendwie den Eindruck, Sie wären …« Mir kam der schreckliche Gedanke, was wäre, wenn sie tatsächlich
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