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Inmitten der Unendlichkeit

Inmitten der Unendlichkeit

Titel: Inmitten der Unendlichkeit
Autoren: David Gerrold
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klettern sollte – nur um zu sehen, was für ein Gefühl das war –, aber dann entschied er sich dagegen. Vielleicht würde er gegen eine Art von Regel verstoßen. Irgendeinen Verhaltenskodex oder eine Tradition. Er wollte nicht riskieren, seinen Dienst auf dem falschen Fuß anzufangen. Nichtsdestotrotz – die Versuchung blieb bestehen. Er nippte an seiner Bouillon und starrte aus dem Fenster auf die weit entfernten Sterne und fragte sich, wie es wohl sein würde, ein Schiff zu steuern – egal, was für eins. Er fragte sich, ob er je gefurchte Diamanten wie die auf der Uniform des Offiziers tragen würde – wie war doch sein Name gewesen? –, der ihm auf dem Korridor weitergeholfen hatte. Nach einer Weile bemerkte er, daß der Beutel leer und er jetzt wirklich müde war. Und er bemerkte außerdem, daß er sich ganz hervorragend fühlte; die aufputschende Wirkung von drei aufeinanderfolgenden Adrenalinstößen war endlich verflogen, und nun spürte er einfach ein Gefühl erschöpfter Zufriedenheit. Er schob den Beutel in den Entsorgungsschlucker, schnallte sich los und schwebte nach hinten in die Passagierkabine. Sie war inzwischen abgedunkelt worden, und es gab nur einen schwachen Lichtschein, der gerade eben erlaubte, Umrisse wahrzunehmen. Sowohl Hodel als auch Brik hatten sich wie Balken oder Rinderhälften an die Schotten geschnallt, aber sie schliefen noch nicht. Hodel warf einen Blick auf seine Uhr und bemerkte: »Nicht schlecht. Zwanzig Minuten. Nicht gerade ein Rekord, aber auch nicht schlecht.«
    Brik grunzte als Antwort. Es war weder Zustimmung noch Mißbilligung, sondern nur eine Bestätigung von Hodels Worten.
    Gatineau wußte nicht genau, was Hodels Worte bedeuten sollten; und obwohl er bemerkt hatte, daß die Bemerkung auf ihn gemünzt gewesen war, entschied er sich aus Sicherheitsgründen, sie einfach zu ignorieren. Er zog sich in die winzige Abteilung zurück, die als Toilette diente, und entdeckte kurz darauf das ungewöhnliche Vergnügen, das einem das Urinieren in der Schwerelosigkeit bescherte. Nachdem er sich so gut es ging gereinigt hatte, schob er sich in die Kabine zurück und hakte seinen Gürtel in einen Riemen an den Schotten. Dann richtete er sich waagerecht aus und verband einen zweiten Riemen mit dem Vorderteil seines Hemdes. Er war noch immer viel zu aufgeregt, um Schlaf zu finden, aber Hodels Rat schien vernünftig gewesen zu sein, und zumindest konnte er ja versuchen, sich ein wenig zu entspannen. Er ließ die Arme schlaff an den Seiten herabhängen, wie man es ihm beigebracht hatte, obwohl er wußte, daß sie irgendwann nach oben schweben und ihn in einer Haltung wie ein ›Toter Mann‹ in einem Pool zurücklassen würden.
    Er schloß die Augen und ließ seine Gedanken zu dem Raumschiff wandern, zu dem die Fähre ihn bringen würde. Der Grünschnabel hatte bereits so viele Rißzeichnungen studiert, so viele Photos betrachtet und war durch so viele virtuelle Ansichten gelaufen, daß er das Gefühl hatte, das Libertyschiff bereits zu kennen – und doch wußte er in Wirklichkeit überhaupt nichts. Er würde sich der Besatzung erst noch beweisen müssen. Er würde sich das Recht, einer von ihnen zu sein, verdienen müssen. Er fühlte sich so schrecklich unerfahren und nackt… und plötzlich wurde er von jemandem geschüttelt, und die Lichter waren auf einmal viel zu hell, und er versuchte vergeblich, sie wegzuschieben.
    »Nun kommen Sie schon, Gatineau – wir sind beinahe zu Hause. Wollen Sie Ihr Schiff nicht von außen sehen?«
    »Hä? Was?«
    Hodel schüttelte ihn freundlich. »Gehen Sie hinauf in die Kuppel. Das ist der beste Platz im ganzen Haus. Sie werden sehen.«
    Noch immer nicht wieder völlig wach, befolgte Gatineau den Ratschlag. Er hakte sich von der Schottenwand los und zog sich wieder hinauf in das Observatorium. Diesmal ging es schon ein gutes Stück leichter. Die Gegenwart des Schiffs war nicht länger begrenzend, sondern tröstend. Und die Gelegenheit, einen Blick in das kalte Vakuum zu werfen, gab ihm ein Gefühl, als würde er unter einer warmen Bettdecke hervorspähen.
    Nach hinten war nichts zu sehen; nur die Sterne, hart, hell und ewig unveränderlich.
    Aber als er sich umwandte und den Blick nach vorn richtete, hielt er den Atem an.
    Dort, vor der Fähre schnell weiter anwachsend, lag die Sternenwolf. Sie näherten sich ihrem Heck von der Steuerbordseite her. So nah war Gatineau einem Libertyschiff noch nie zuvor gekommen, und er prägte sich jedes Detail
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