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Infinity (German Edition)

Infinity (German Edition)

Titel: Infinity (German Edition)
Autoren: Gabriele Gfrerer
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schmiegt.
    Hektisch kratzen Krallen über meine Haut, weil ich ihn mit meinem Lachen unsanft schüttle. »Brauchst nicht erschrecken! Du bist mir doch der Liebste, das weißt du doch.«
    Ich habe gar keine lange Nase. Und meine Augen sind an der richtigen Stelle. Wie bei den meisten anderen Menschen. Warum sieht mich trotzdem niemand?
    An der weichen Stelle hinter den Ohren finde ich Schutz. Dort vergrabe ich meine ganz normale Nase, wenn ich mich so fühle, wie gerade jetzt.
    Ich habe sie gesehen. In der S-Bahn saß sie am Fenster. Unsere Blicke haben sich getroffen. Aber sie hat die Augen niedergeschlagen und weitergelesen. Sie hat mich nicht erkannt.

    Es piept. Neue Nachrichten. Ein Wissenschaftler muss immer auf dem Laufenden sein. Oder noch besser, den anderen voraus …
    »Hast du von der Schlägerei gehört?«
    Die Tastatur scheppert gegen die Tischplatte. Er erschreckt mich immer noch! Ob er weiß, wie sehr ich es hasse, wenn er sich so anschleicht?
    Ich deute mit dem Kinn zur geöffneten Internetseite auf dem Bildschirm. »Hab’s grad gelesen. Einer von unseren?«
    Er nickt. Es macht ein schabendes Geräusch, als er mit der Handfläche über die Wangen reibt. Ich weiß, was der Ausdruck in seinen Augen bedeutet.
    »Das heißt doch nichts! Wenn wir jetzt die Freigabe noch einmal verschieben, werden die Herren mit Sicherheit ungemütlich. Menschen haben nun mal Stimmungen! Warum denn unsere nicht?«
    Er braucht den Satz nicht auszusprechen. Er steht ihm ins Gesicht geschrieben. Du weißt, dass sie anders sind. Gerade du.
    »Aber unsere Methode ist besser geworden. Alle Werte haben bisher unsere Erwartungen übertroffen. Niemandem ist das passiert, was ich …« Es hat keinen Zweck, weiterzusprechen. Er wird um eine Verschiebung bitten. Nein. Er wird sie einfordern. Ich sehe es daran, wie er den Unterkiefer vorschiebt, während er zum Handy greift.
    Wie von selbst ballen sich meine Finger zu Fäusten. So lange hatte ich es unter Kontrolle. Doch jetzt brodelt es in meinen Eingeweiden. Wie Lava in einem riesigen unterirdischen Vulkan drängt das Brennen durch meine Adern.
    »Papa …«
    Meine Stimme … ist das meine Stimme? Er dreht sich zu mir um. Er weiß es sofort. Greift nach der Injektionsnadel und kniet sich gleichzeitig mit seinem ganzen Gewicht auf meinen Brustkorb.
    Ich japse nach Luft.
    Bleierne Müdigkeit lähmt meine Gedanken.
    Weiches Fell legt sich über mein Gesicht. Schmiegt sich an meine Wange.
    Das muss endlich ein Ende haben! Ich will hier raus! Mein Leben soll endlich beginnen!
    Endlich … Unendlich … Klara …

_ 5 _

    »Klara? Ich bin’s, Jonas. Was machst du gerade?«
    »Na, was wohl. Lernen. Warum?« Klara wechselte das Handy ans linke Ohr und überflog weiter mit den Augen das Arbeitsblatt, das vor ihr auf dem Schreibtisch lag.
    »Hast du Lust, mitzukommen? Rudi und ich wollen zum Roten Berg – Drachen steigen lassen …«
    »Ah … wie aufregend …« Mit gelbem Leuchtstift markierte sie einen Satz.
    »Jaja, mach dich nur lustig. Aber das wird echt geil. Der Rudi hat behauptet, er hätte einen mit Solarzellen betriebenen Flugdrachen entwickelt … Er hat gewettet, dass der schneller ist als mein neu getunter Raptor TT36.«
    Klara zog unter einem Stapel Bücher ihren Schreibblock hervor. »Also, ich weiß nicht. Das ist doch Bubenkram …« Sie klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr und zog mit den Zähnen die Kapsel vom Füller. »Wasch scholl ich da …«
    »Komm, Klara, sei nicht so ein Stubenhocker! Du solltest wirklich mal wieder an die frische Luft. Weißt du überhaupt noch, wie’s draußen ausschaut?«
    Den Verschluss noch zwischen den Zähnen drehte Klara den Kopf zum Fenster. Tatsächlich. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie prächtig dieser Altweibersommertag war.
    »Ich lad dich nachher noch auf einen Kaffee ein – oder auf einen Romeo-und-Julia-Becher ins Della Lucia.« Jonas’ Stimme hatte einen schmeichelnden Unterton. Klaras Lerneifer wurde augenblicklich von unbändigem Heißhunger auf Süßes abgelöst. Entschlossen schob sie die Füllfeder in den Halter zurück und schnippte die Buchseiten zu.
    »Okay. Überredet. In zehn Minuten an der Bushaltestelle.« Sie schüttelte den Kopf über das plötzliche Ziehen im Magen, das sie aufspringen und nach dem neuen flauschigen rosa Pulli greifen ließ, den sie zum Geburtstag bekommen hatte. Schrecklich kitschig hatte sie ihn damals gefunden. Eben ein typischer Mama-Versuch, aus ihr doch noch irgendwie ein Mädchen zu
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