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Infinity (German Edition)

Infinity (German Edition)

Titel: Infinity (German Edition)
Autoren: Gabriele Gfrerer
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nicht, denn sie verschwindet unter einem aufgesprayten Anarchie-Zeichen.
    Der Junge löst sich vom Zaun und kommt ihnen unsicher entgegen, die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Ein paar Meter vor ihnen bleibt er stehen.
    »Sind Sie Nenad Jankovic?«, fragt Huber.
    Der Junge kneift die Lippen zusammen und nickt. In seinem blassen Gesicht zeichnen sich ganz deutlich die Sommersprossen ab und sein Blick irrt unsicher zwischen Huber und Marek hin und her. Es scheint Nenad klar zu sein, dass Huber das Sagen hat, doch Hilfe erhofft er sich offensichtlich von Marek, dem Jüngeren der beiden.
    »Ich bin Peter Huber und das ist mein Kollege Janosch Marek«, sagt Huber. »Sie haben einen Toten und einen Verletzten gemeldet?«
    Wieder nickt der Junge und schaut dabei Marek an.
    »Und, wo sind sie?« In Hubers Stimme vibriert mühsam unterdrückte Ungeduld.
    »Dort drüben.« Nenad zeigt in die Richtung, aus der er gekommen ist. Seine Stimme zittert beinahe so stark wie die ausgestreckte Hand. »Ich … Ich kann Ihnen den Weg zeigen.«
    Huber stürmt los, ohne weitere Fragen zu stellen. Nenad Jankovic bleibt unsicher stehen. »Und … Und die Ambulanz?«, fragt er.
    »Wird gleich hier sein«, verspricht Marek, der die Sirenen schon hören kann. »Geh schon!«
    Der Junge zögert. Dann läuft er los. Kurz vor dem Gitterzaun holt er Huber ein. Marek schaut den beiden zu, wie sie sich durch eine Öffnung neben dem Verbotsschild zwängen und zwischen zwei Rohbauten durchgehen.
    Geistersiedlung. So nennen die Leute im Ort die Hartmann-Überbauung. Die Gebäude, die trotz gleißendem Sonnenlicht düster in die Höhe ragen, werden dieser Bezeichnung mehr als gerecht.
    Während Huber und Jankovic um die Ecke des Gebäudes auf der rechten Seite verschwinden, biegt die Ambulanz auf den ungeteerten Platz ein. Der Fahrer manövriert den Wagen so nahe wie möglich an den Zaun heran. Marek kennt den Mann, der die Tür aufstößt und schnell, aber ohne Hektik, aussteigt und ihn wie einen alten Bekannten begrüßt. Er mag die ruhige, besonnene Art von Diego Rapold und ist froh, auf ihn zu treffen.
    »Ich hoffe, die Jungs haben sich nur ein paar Filme zu viel angeschaut und irren sich«, sagt Rapold.
    Das hofft Marek auch. Nicht nur für den Mann, der irgendwo auf dem Gelände liegt, und die Jungs, die ihn gefunden haben, sondern auch für sich. Das Schlimmste an seiner Arbeit sind nämlich die Toten. Von denen hat Marek einige gesehen. Natürliche Todesursache. Unfalltote. Selbstmörder. In schlechten Nächten träumt er von ihnen, an guten Tagen sucht er nach Möglichkeiten, mit den Gedanken an sie klarzukommen, so was wie einen Schutzwall aufzubauen. »Das …«, dringt Rapolds Stimme zu ihm durch, »ist Sanja Clausen. Sie ist neu bei uns.«
    Rote Haare, funkelnde Augen und das netteste, wenn auch kürzeste Lächeln, das Marek je gesehen hat, vertreiben den Tod aus seinen Gedanken, die plötzlich ziemlich wirr durcheinanderwirbeln.
    »Wo sind die Verletzten?«, fragt sie.
    Etwas unbeholfen deutet Marek in die Richtung, in die Huber und der Junge verschwunden sind.
    »Na, dann. Worauf warten wir noch?«
    Schon wieder dieses Funkeln in den Augen!
    »Auf nichts«, antwortet Marek und ärgert sich über die Unsicherheit in seiner Stimme. Als er seine fünf Sinne endlich wieder einigermaßen beisammen hat, sind Diego Rapold und Sanja Clausen schon beinahe beim Zaun.
    Marek läuft los und stößt mit dem Fuß gegen eine Flasche. Klirrend rollt sie über den groben Kies und prallt gegen ein paar Getränkedosen. Wahrscheinlich liegen gelassen von den Punks, die sich in den unfertigen Bauten eingenistet haben.
    Kurz vor dem Zaun schließt Marek zu den beiden Notärzten auf, überholt sie und drückt das Gitter zurück, damit sie mit ihrer Ausrüstung passieren können. Dabei kommt ihm Sanja Clausen so nah, dass er ihr Parfum riechen kann. Er atmet den Duft ein und schon beginnt es wieder zu wirbeln. STOPP! Marek bremst seine Gedankenfetzen, bevor sie ihm ins Gesicht geschrieben sind, und folgt den beiden in die Geistersiedlung.
    Zwischen den skelettartig in die Höhe ragenden Gebäuden hat sich ein Trampelpfad gebildet. Mit jedem Meter, den Marek tiefer in das Gelände dringt, liegt mehr Bauschutt und Abfall herum. Vor einem Eingang, der nur notdürftig mit Brettern abgesperrt ist, entdeckt Marek eine Feuerstelle, umgeben von umgekippten leeren Bierkisten. Einen Augenblick lang verdeckt das Gebäude auf der
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