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Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz
Autoren: Edward Lee
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blond, dass es schon beinahe weiß aussah. Darin Highlights in der Farbe kandierter roter Äpfel. Ihre Goth-Erscheinung hatte etwas Aggressives an sich, und doch hätte ihr Gesicht nicht gelassener wirken können.
    Der Lügendetektor war an ein CPU-Board angeschlossen, das jede Regung auswertete und überprüfte, einschließlich thermischer Reaktionen, diastolischen Blutdrucks, Stimmlage und Herzschlag. R.J. wusste, sie könnten die ganze Nacht so weitermachen, es würde sich nichts ändern – die Ergebnisse wären dieselben wie bei den ersten drei Sitzungen.
    Dr. Morse zupfte an seinem Bart. »Sie glauben nicht, dass sie es getan hat, oder?«
    »Ihr eigenes Haus niedergebrannt und ihren Vater wegen seines Geldes umgebracht?« Er sah Morse in die Augen. »Nein, glaube ich nicht. Und Sie glauben es auch nicht.«
    »Vermutlich haben Sie Recht.«
    Ein paar Minuten später saß R.J. wieder am Kontrollpult. Morse stand neben ihm.
    »Cassie? Können Sie mich noch hören?«
    »Ja.«
    »Haben Sie Ihren Vater getötet?«
    »Nein.«
    »Wollten Sie sein Geld erben?«
    »Nein.«
    »Haben Sie das Haus niedergebrannt?«
    »Nein.«
    »Wissen Sie, wer es getan hat?«
    »Ja.«
    »Und wer?«
    »Eine Subkarnation, die einen Illusionszauber benutzt hat. Es war ein Sukkubus, den Lilith gesandt hat.«
    »Wer?«
    »Lilith, der Kuss der Apokalypse, die Hurenmadonna. Sie ist die Mutter der Dirnen und aller Abscheulichkeiten der Erde. Sie versuchte zuerst selbst, unser Haus niederzubrennen, aber das hat nicht geklappt. Also schickte sie einen anderen Sukkubus.«
    »Um Ihr Haus abzubrennen.«
    »Ja.«
    »Warum? Um Ihren Vater zu töten?«
    »Nein, um das Haus zu zerstören. Es war ein Totenpass. Eine Art Tür, oder Pforte. In die Mephistopolis.«
    »Die …«
    »Ein Totenpass ist ein Eingang in die Hölle. Bestimmte Menschen können durch diesen Eingang hindurchgehen. Menschen wie ich.«
    R.J. hielt den Blick auf den Bildschirm gerichtet. Der Computer hatte bisher keinen einzigen negativen Impuls wahrgenommen.
    »Menschen wie Sie«, wiederholte R.J. ihre letzten Worte. Er warf einen Blick auf seine Notizen aus der letzten Sitzung. »Und Sie sagten, Sie seien ein … Ä…«
    »Ein Ätherkind«, vollendete Cassie ausdruckslos. »Ich bin ein lebendiger Mensch, der in die Hölle gehen und zurückkommen kann. Wann immer ich will …«

    Cassie bewahrte sich die Erinnerung, so deutlich wie ein Bild in einem Medaillon. Sie hatte sogar tatsächlich ein Medaillon, ein silbernes Medaillon an einer silbernen Kette – mit dem Bild ihrer Schwester darin. Cassie sehnte sich nach diesem Medaillon, sehnte sich danach, Lissas Gesicht darin zu sehen. Auch wenn ihr bei jedem Blick in den Spiegel eine identische Kopie dieses Gesichts entgegensah. Cassie und Lissa waren eineiige Zwillinge; man konnte sie nur anhand bestimmter Merkmale auseinander halten. Eins davon war ihr Haar (Cassie trug früher einen hellblonden Kurzhaarschnitt mit Highlights, Lissa eine lange, samtschwarze Mähne mit einem schneeweißen Streifen auf der rechten Seite). Das zweite waren die Tattoos: um Lissas Nabel wand sich ein zierlicher Stacheldraht, Cassie trug an der gleichen Stelle einen schlanken Regenbogen.
    Inzwischen gab es natürlich noch einen weiteren Unterschied. Cassie lebte und Lissa war tot.
    Achtlos schleuderte Cassie die Anstaltspantoffeln von sich und legte sich auf die dünne Matratze ihrer Pritsche. Wie so oft tastete sie mit der Hand nach dem Medaillon und murmelte »verdammt«, als ihr wieder einfiel, dass ihre »Gastgeber« es ihr weggenommen hatten; genau wie die Uhr, die Handtasche und einige andere Habseligkeiten. All das war weggeschlossen worden, als man sie hier aufgenommen hatte. »Tut uns Leid, das dürfen Sie nicht behalten«, hatte die Anstaltschwester ihr streng mitgeteilt. »Ihre Krankenakte aus Washington beschreibt sie als hochgradig suizidgefährdet.« Cassie zuckte zurück und widersprach: »Ich will doch nur das Medaillon, nur diesen Anhänger. Da ist ein Bild meiner Schwester drin. Wie soll ich mich denn mit einem Medaillon umbringen? Außerdem bin ich nicht selbstmordgefährdet, großer Gott.« Die Schwester hatte die Stirn gerunzelt und ein Kichern unterdrückt; sie sah auf Cassies Handgelenke, die voller alter Narben waren.
    »Ach nein?« Sie blätterte durch Cassies alte Akte aus der psychiatrischen Klinik in Washington. »Der Hang zum Suizid ist oft erblich. Wussten Sie das? Steht hier nicht irgendwo, dass Ihre Schwester Selbstmord begangen
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