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Infernal: Thriller (German Edition)

Infernal: Thriller (German Edition)

Titel: Infernal: Thriller (German Edition)
Autoren: Greg Iles
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um Ungeheuerlichkeiten aufzudecken, um sinnloses Abschlachten von Menschen aufzuhalten. Der Künstler hinter den Bildern im nächsten Raum hatte eine ganz andere Intention, so viel schien klar.
    Ich atmete tief durch und betrat den Raum.
    Mein Eintreten erzeugte Unruhe unter den Männern, wie ein fremder Fisch, der in einen Schwarm eindringt. Eine Frau – noch dazu eine Langnasenfrau! – bereitete ihnen ganz offensichtlich Unbehagen, fast, als schämten sie sich ihrer Anwesenheit in diesem Raum. Ich begegnete ihren verstohlenen Blicken mit Gleichgültigkeit und trat zu dem Bild mit den wenigsten Männern davor.
    Nach den erbaulichen chinesischen Aquarellen war es ein Schock. Das Bild war typisch westlich: das Porträt einer nackten Frau in einer Badewanne. Einer Langnasenfrau, wie ich, doch zehn Jahre jünger. Vielleicht dreißig. Ihre Haltung – ein Arm hing schlaff über den Rand der Wanne – erinnerte mich an »Death of Marat«, ein Bild, das ich von dem Masterpiece-Brettspiel her kannte, das ich als Kind gespielt hatte. Doch die Perspektive war anders, von einem höheren Winkel auf das Modell herab, sodass Brüste und Schambein sichtbar waren. Ihre Augen waren geschlossen, und obwohl die Frau unbestreitbar friedlich wirkte, konnte ich nicht sagen, ob es der Frieden des Schlafes oder der des Todes war. Die Hautfarbe war nicht ganz natürlich, eher wie Marmor, und mich überkam fröstelnd das Gefühl, dass ich, wenn ich in das Bild greifen und sie umdrehen könnte, ihren Rücken voller Leichenflecke finden würde.
    Ich spürte, wie sich die Männer hinter mir näher schoben, und ging zum nächsten Gemälde. Diesmal lag das weibliche Modell auf einem Bett aus Stroh, das wie auf einem Dreschboden auf Holzplanken ausgebreitet war. Die Augen standen offen und besaßen jenen stumpfen Glanz, den ich in viel zu vielen improvisierten Leichenschauhäusern und hastig ausgehobenen Gräbern gefunden hatte. Es stand außer Frage – diese Frau sollte tot aussehen. Was nicht bedeuten musste, dass sie tatsächlich tot war , doch wer auch immer sie gemalt hatte, wusste, wie der Tod aussah.
    Erneut hörte ich Männer hinter mir. Scharrende Füße, raschelnde Seide, unregelmäßiger Atem. Versuchten sie etwa, meine Reaktion abzuschätzen auf diese abendländische Frau im verletzlichsten Zustand, in dem eine Frau sein kann? Obwohl – falls sie tot war, dann war sie rein technisch gesehen unverwundbar. Trotzdem erschien mir dieses Gaffen der fremden Männer auf ihren Körper wie eine letzte Beleidigung, die ultimative Demütigung. Wir bedecken Leichen aus dem gleichen Grund, aus dem wir hinter Mauern verschwinden, um unseren körperlichen Bedürfnissen nachzukommen; manche Dinge schreien nach Privatsphäre, und der Tod ist eines davon. Respekt ist angebracht, nicht vor dem Leichnam, sondern vor der Person, die darin gelebt hat.
    Irgendjemand hatte zwei Millionen Dollar für ein Gemälde wie dieses bezahlt. Vielleicht sogar für genau dieses. Ein Mann, natürlich. Eine Frau würde dieses Bild nur gekauft haben, um es augenblicklich zu zerstören. Neunundneunzig von hundert jedenfalls. Ich schloss die Augen und sprach ein Gebet für die Frau auf dem Bild, für den Fall, dass sie tatsächlich tot war. Dann ging ich weiter.
    Das nächste Bild hing von mir aus gesehen hinter einer schmalen Bank, die an der Wand stand. Es war kleiner als die übrigen, vielleicht sechzig mal neunzig Zentimeter, und hing hochkant. Zwei Männer standen davor, doch sie sahen nicht auf die Leinwand. Stattdessen starrten sie mich, als ich näher kam, mit offenen Mündern an wie Fische auf dem Trockenen, und ich stellte mir vor, dass ich, wenn ich ihre gestärkten weißen Hemdkrägen herunterzog, Kiemen finden würde. Keiner der beiden war größer als ich, und sie wichen hastig zurück und gaben den Platz vor dem Gemälde frei. Als ich mich dem Bild zuwandte, durchflutete eine alarmierende Hitzewelle meinen Körper, und ich hatte das Gefühl, als holte mich die Vergangenheit ein.
    Diese Frau war ebenfalls nackt. Sie saß auf einer Fensterbank und hatte den Kopf und die Schulter gegen den Fensterflügel gelehnt. Ihre Haut leuchtete vom violetten Schein der auf- oder untergehenden Sonne. Sie hatte die Augen halb geöffnet, doch sie erinnerten mehr an die Glasaugen einer Puppe als an die einer lebendigen Frau. Ihr Körper war schlank und muskulös, ihre Hände lagen im Schoß, und ihre streng geschnittenen Haare fielen auf die Schultern wie ein dunkler
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