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Infam

Infam

Titel: Infam
Autoren: K Ablow
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und ging in sein Zimmer zurück.
    Ich folgte ihm. Er war noch nicht dazu gekommen, seine Sachen zu ordnen, sodass überall überquellende Kartons mit Kleidungsstücken, Fotoalben, ein paar Kameras mit langen Objektiven und Hunderten von Filmdosen herumstanden. Ich setzte mich an seinen Schreibtisch.
    »Hier herrscht das totale Chaos«, entschuldigte er sich, »wie peinlich.« Er fing an, ein paar Sachen aufzusammeln und sie in seinen Kleiderschrank zu stopfen. »Es ist eine schwere Zeit für meine Mutter«, sagte er und sah mich an.
    »Das denke ich auch«, pflichtete ich bei.
    »Nicht nur, weil sie sich von den Verletzungen erholen muss und all das«, fuhr er fort und nahm einen weiteren Karton. »Es liegt an all den Veränderungen. Vor allem, dass Darwin nicht mehr hier ist. Obwohl das gut ist, ist es eine ziemlich große Sache, verstehen Sie?«
    Das stimmte. Bishop hatte eine Menge physischen und emotionalen Raum in dieser Familie eingenommen. Seine Abwesenheit hinterließ eine Leere. Selbst der Verlust negativer Energie kann Schwindel erregend sein. »Ich schätze, es ist ein bisschen so, als würde man aus einem Krieg heimfahren«, sagte ich. »Die Dämonen verfolgen einen noch eine ganze Weile.«
    Garret stopfte den Karton in seinen Schrank und drückte die Tür zu, dann drehte er sich um und sah mich an. »Ohne hier dem Seelenklempner mit Psychologie kommen zu wollen, aber sie wollte zum Beispiel da drinnen, dass Sie sie schlagen.«
    »Was?«
    »Sie hat geschrien«, erklärte Garret. »Darwin wäre explodiert. Sie hat ausgetestet, ob Sie sie schlagen würden.«
    Garrets Schlussfolgerung ergab durchaus einen Sinn. Ich hatte Julia aufgefordert, mir zu vertrauen und mir rückhaltlos ihre Vergangenheit zu offenbaren. Eine mögliche Interpretation ihrer extremen Reaktion war, dass sie damit ausloten wollte, wie weit sie gehen konnte, ehe ich mich zur Wehr setzte. »Du kennst deine Mutter ziemlich gut«, sagte ich.
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe das gleiche Verhalten an mir festgestellt, seit Sie mit uns zusammenleben«, erklärte er. »Nehmen Sie zum Beispiel dieses Zimmer. Hier hätte niemals eine solche Unordnung herrschen dürfen, wenn Darwin hier gewesen wäre. Es sei denn, ich wäre scharf darauf gewesen, seinen Gürtel zu spüren zu bekommen. Ich schätze, ich habe dieses Durcheinander geschaffen, um herauszufinden, ob Sie es mir durchgehen lassen.«
    »Es steht mir nicht zu, dir zu sagen, was du mit deinem Zimmer machen darfst«, sagte ich.
    »Sie sind praktisch der Mann im Haus«, erwiderte er.
    Ich fühlte mich eigentlich nicht so. »Was liest du denn im Moment so?«, fragte ich mit einem Nicken auf seinen Schreibtisch.
    »Gedichte.«
    »Von wem?«, fragte ich und sah auf den Titel.
Das Land der Herzenswünsche
.
    »Yeats.«
    »Ist er dein Lieblingsdichter?«
    »Ich habe keinen wirklichen Lieblingsdichter«, antwortete er und ließ sich auf einen Sitzsack in der Ecke des Zimmers sinken. »Ich mag Emerson und Poe ebenso gern. Vielleicht sogar noch lieber.«
    Ich schaute zu den Bücherregalen, dem einzigen Platz im Zimmer, der sauber und ordentlich war. Ich ließ meinen Blick über die alphabetisch nach den Autoren geordneten Bände schweifen. Auden, Beckett, Emerson, Hegel, Hemingway, Locke, Paz, Poe, Shakespeare. Yeats stand am Ende des Regals – sieben oder acht Bände allein von ihm. »Was gefällt dir an Gedichten?«, fragte ich.
    »Mehr mit weniger zu sagen«, antwortete er. »Die Leute benutzen zu viele Worte. Und dadurch werden sie bedeutungslos.«
    »Stimmt«, pflichtete ich bei. »Schreibst du auch selbst Gedichte?«
    »Manchmal«, sagte er. »Nur für mich selbst.«
    Damit schien er andeuten zu wollen, dass ich nicht darauf hoffen sollte, irgendwann eines von Garrets Werken lesen zu dürfen. »Du selbst bist dein einzig wichtiges Publikum«, bemerkte ich.
    »Darwin ist immer sauer geworden, wenn er mich beim Schreiben erwischt hat«, erinnerte sich Garret. »Er hat gesagt, das wäre nur etwas für Mädchen. Das war einer der Gründe, weshalb er mir nicht erlaubt hat, zu lange in meinem Zimmer zu bleiben.«
    »Das ist doch lächerlich«, sagte ich. »Niemand hat Hemingway je für ein Mädchen gehalten.«
    »Seine Mutter schon«, bemerkte Garret.
    Ich schmunzelte. Hemingways Mutter hatte den heranreifenden Schriftsteller von Zeit zu Zeit in Mädchenkleider gesteckt – ein Grund für sein beinahe übertrieben männliches Auftreten als Erwachsener. »Mit Ausnahme von ihr«, räumte ich
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