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Ines oeffnet die Tuer

Ines oeffnet die Tuer

Titel: Ines oeffnet die Tuer
Autoren: Markolf Hoffmann
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ist. Im Flur, sagst du?«
    Die will mich wohl auf den Arm nehmen, dachte Ines.
    Â»Ja, im Flur. Sag schon, Oma … was für ein Raum liegt hinter der Tür?«
    Â»Wenn du so neugierig bist, warum hast nicht nachgesehen?«
    Â»Ich … ähm …« Ines hielt inne. »Na ja, sie war abgeschlossen.«
    Â»Das dachte ich mir.« Agnes klang, als spräche sie den Satz mehr zu sich selbst. Dann schien sie für einen Moment in Gedanken zu versinken.
    Â»Außerdem wollte ich nicht herumschnüffeln«, ergänzte Ines.
    Â»Nein, nein, du darfst gern in den Raum hineinsehen.« Agnes wischte sich das Regennass aus dem Gesicht. »Glaub mir, beim nächsten Mal wird er nicht mehr verschlossen sein.« Sie wandte sich zu Ines und plötzlich lag Zärtlichkeit in ihrem Blick. »Es freut mich, dass dir die Tür aufgefallen ist. Die meisten übersehen sie.«
    Aha, dachte Ines. Das wird ja immer mysteriöser.
    Kaum waren sie am Haus angelangt, streifte sie die nassen Schuhe und die Jacke ab. Während die anderen noch die Treppe emporstiegen, war sie bereits im oberen Stockwerk, eilte durchs Wohnzimmer und dann in Richtung Küche.
    Â»Das wollen wir doch mal sehen«, murmelte sie. Jetzt, da Agnes ihr die Erlaubnis erteilt hatte, wollte sie keine Sekunde länger warten, um das Geheimnis der Tür zu lüften.
    Sie bog um die Ecke in den Flur. Dann blieb sie vor der Wand stehen – und riss die Augen weit auf.
    An der Wand hing ein Plakat, eine gemalte Straßenszene mit Cafés, eleganten Frauen und einer Kutsche. Der Schriftzug lautete:
Paris 1924
.
    Die Tür aber war verschwunden.

4.
    Â»Wo hat Oma Agnes eigentlich gelebt, ehe sie aufs Land gezogen ist?«, fragte Ines.
    Sie waren auf der Heimfahrt. Draußen dunkelte es. Ines saß auf dem Beifahrersitz, ihre Mutter mit Julian hinten. Beide dösten, erschöpft von dem langen Besuch.
    Veith schaltete in einen niedrigeren Gang. Das Rücklicht des voranfahrenden Lastwagens spiegelte sich in seiner Brille.
    Â»Unsere Familie stammt eigentlich aus Köln«, antwortete er. »Deine Oma hat dort ihre Kindheit verbracht. Als sie so alt war wie du, war gerade der Krieg vorbei. Das kann man sich heute kaum vorstellen, oder?«
    Ines verdrehte die Augen. Da kam wieder der Geschichtslehrer in ihrem Vater empor. Jetzt würde er wieder einen seiner langen Vorträge halten …
    Â»Es müssen harte Zeiten gewesen sein, Ines … du hast das ja sicher schon im Unterricht durchgenommen.«
    Â»Papa!!!«
    Â»Richtig, du hattest nach Oma gefragt.« Veith überholte den Lastwagen. »Na ja, Köln war auf jeden Fall ausgebombt, und Agnes musste mit ihren Eltern – deinen Urgroßeltern – mehrmals umziehen. Später, als sie eine junge Frau war, ging sie aus Deutschland fort. Sie ist viel herumgereist, war in Paris, in London … sie hat eigentlich immer das gemacht, was sie wollte. Eine Zeit lang war sie sogar Tänzerin, wusstest du das?«
    Â»Tänzerin?« Ines war sprachlos.
    Â»Ja, in einem Varieté. Ein bisschen sieht man es ihr noch an, finde ich. Für ihr Alter ist sie doch wirklich sehr beweglich.«
    Auf dem Rücksitz räkelte sich Carmen. Ines wusste nicht, ob sie schlief oder zuhörte.
    Â»Tja, sie hat getanzt und gemalt, und als ihr das zu langweilig wurde, fing sie eine Ausbildung zur Automechanikerin an. Das war damals für eine Frau unerhört, völlig verrückt. Sie hat irgendwo in Frankreich Motoren zusammengeschraubt – und dabei deinen Opa kennengelernt.«
    Â»Gregor«, sagte Ines wie aus der Pistole geschossen.
    Â»Richtig. Er war ihr Chef in der Werkstatt. Mit ihm ist sie nach Deutschland zurückgekehrt und hat das Haus am Weiher gekauft.« Veith lächelte. »Agnes hat wirklich ein wildes Leben geführt und war immer ein besonderer Mensch. Es war nicht immer leicht, sie zur Mutter zu haben. Aber langweilig war es nie.«
    Das glaubt Ines sofort.
    Â»Einmal, in einem besonders heißen Sommer, ist sie abends aufs Dach geklettert und hat oben für uns getanzt, in einem weißen Baumwollkleid … ich weiß es noch wie heute. Es war ein wunderschönes Bild, wie sie sich vor der untergehenden Sonne bewegte und das Abendrot den Stoff färbte. Ein anderes Mal hat sie uns am Grauweiher zu einem Tauchwettbewerb zusammengetrommelt. Wir und andere Kinder aus dem Dorf mussten an einer seichten Stelle nach
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