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Ines oeffnet die Tuer

Ines oeffnet die Tuer

Titel: Ines oeffnet die Tuer
Autoren: Markolf Hoffmann
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Matheklausur … das nackte Entsetzen!
    In der ersten Reihe hockte Karol. Auch er war noch in die Arbeit vertieft und blickte stirnrunzelnd auf seinen Bogen. Er hatte sich die blonden Haare nicht so hochgegelt wie sonst. Seinen Hals zierte ein rotes Kettchen. Manchmal zog er es mit der rechten Hand zum Mund und nagte darauf herum.
    Seine neue Frisur gefiel Ines. Ihr gefiel überhaupt so einiges an Karol. Seine Augen, seine Stimme, sein selbstbewusstes Lächeln … Es war schon seltsam. Vor ein paar Monaten noch hatte sie ihn kaum beachtet und für einen blöden Aufschneider gehalten. Karol, die Sportskanone der Schule, der bei den Bundesjugendspielen immer die meisten Punkte holte und zu Leichtathletikwettbewerben eingeladen wurde. Karol, der mit Jungs aus höheren Klassen befreundet war und die ganze Zeit mit ihnen abhing. Karol, für den jedes zweite Mädchen der Klasse schwärmte.
    Ausgerechnet Karol!
    Fast schämte sich Ines, dass sie auch auf ihn stand. Wie alle anderen. Aber seit sie sich einmal an der Bushaltestelle mit ihm unterhalten hatte, wusste sie, warum er so gut ankam. Er war eben nicht nur ein Aufschneider, sondern auch nett und witzig. Er konnte flirten wie kein Zweiter … und dann diese Augen … und sein Mund …
    Ines musste oft an ihn denken, abends vor dem Einschlafen, und ihr Herz klopfte schneller, wenn sie Karol in der Schule sah. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Es fühlte sich komisch an, einerseits schön, andererseits furchtbar. Sie fühlte sich dieser Schwärmerei so hilflos ausgesetzt.
    Irgendetwas hat sich verändert, dachte Ines. Vielleicht weil ich älter werde?
    Sie hatte schon für einige Jungs geschwärmt. Für Martin aus der Parallelklasse oder Ardan aus dem Hockeyverein. Aber bei Karol fühlte es sich anders an. Neu. Aufregender. Obwohl die Sache völlig aussichtslos war. Karol, der sich unter Dutzenden von Mädchen eines aussuchen konnte, wollte bestimmt nichts von ihr wissen. Und sie war sich selbst ja auch nicht sicher. Wollte sie mit einem so eingebildeten, arroganten Kerl zusammen sein? Der sich nur für Sport und sonst nichts interessierte und den die Tussis der ganzen Schule wie ein Bienschwarm umkreisten?
    Sie fragte sich, was Agnes über Karol denken würde. Bestimmt fände sie ihn zu normal. Agnes hatte sich immer Abenteurer ausgesucht, so wie Gregor. Männer, die außergewöhnlich waren. Und Carmen? Die würde nur sagen, dass Karol aus einer schlechten Familie kam und Ines sich bloß nicht mit solchen Leuten einlassen sollte. Mit so armen Leuten.
    Aber ihre Mutter würde sie ja auch nie danach fragen …
    Â»Ines!«
    Sonja tippte mit ihrem Fuß gegen Ines’ Stuhl und riss sie aus ihrer Träumerei. Ihr Flüstern klang verzweifelt.
    Â»Aufgabe elf … ich hab keinen Plan!«
    Ines nickte und schob das zweite Arbeitsblatt in Sonjas Richtung.
    Auf halber Strecke hielt sie jedoch inne und starrte zum Lehrerpult.
    Frau Wunder saß in völliger Ruhe am Tisch und rührte mit einem Plastiklöffel ihren Brennnesseltee um. Vor ihr lag eine Zeitschrift, in der sie zu lesen schien. Aber Ines wusste es besser. Sie spürte, nein, sie
wusste
, dass Frau Wunder etwas bemerkt hatte.
    Mist, dachte sie, senkte den Blick und tat, als ob sie nochmals ihre Lösungen überprüfte. Nur Sonne, die blinde Kuh, hatte natürlich wieder nichts mitgekriegt und zischte erneut etwas zu Ines herüber.
    Â»Noch ein Stück weiterschieben … ich kann nichts lesen.«
    Frau Wunder stand so ruckartig auf, dass ihr Stuhl beinahe umfiel.
    Â»Sonja und Ines! Was ist da los?«
    Frau Wunder hatte eine weiche, leise Stimme, wie die einer Fee aus den Märchenhörspielen, denen Ines früher gelauscht hatte. Es war eine Stimme, die einen leicht täuschen konnte. Denn so freundlich Frau Wunder auch klang, was sie sagte, war meistens verletzend und treffsicher wie ein Dartpfeil.
    Â»Schreibt ihr wieder voneinander ab? Denkt ihr, ich merke das nicht?« Frau Wunder eilte durch die Reihen auf sie zu. Ihr blonder Zopf wippte bei jedem Schritt auf und ab.
    Ines zog den Arbeitsbogen rasch zurück. »Nein, wir schreiben nicht ab«, log sie. »Ich wollte nur … Ich bin schon fertig, Frau Wunder, und habe die Blätter sortiert.«
    Â»Ach ja? Sortiert? Auf dem Tisch deiner Freundin, des berühmten Mathegenies Sonja Schreiner?« Frau Wunder lächelte spöttisch.
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